Maturitätsarbeit Stuhlbank (reich bebildert)
Verfasst: Mi 10. Feb 2010, 21:14
Hallo miteinander
Kürzlich wurden am Liceo Artistico in Zürich die Maturitätsarbeiten vorgestellt. Mein Vaterherz fieberte selbstverständlich beim Vortrag meiner Tochter mit, mein Schreinerherz schaltete aber beim Projekt einer Klassenkameradin einen Gang höher: Sie hatte mit Hilfe und Unterstützung des Schreinermeisters Theo Knecht eine Bank entworfen und in umwerfend schönem einheimischem Nussbaum realisiert.
Der Entwurf war das Resultat einer Reihe von Ideen und Skizzen, in einer Phase auch inspiriert von der Stuhlhockerbank der deutschen Designerinnen Yvonne Fehling & Jenny Peiz.
Hier wurde es schliesslich eine Vervielfachung einer Stabelle, wobei die Idee von Zeit, bzw. Beschleunigung die Form mitgeprägt hat (die Skizze mit Massangaben stammt vom Schreinermeister).

Nun wird jeder von Euch sofort feststellen, dass dies nicht trivial ist und das Umsetzen der Idee in Holz etliche knifflige Herausforderungen mit sich bringt.
Anders als bei der klassischen Stabelle wurden nur die aufrechten Friese mit Zapfen durch die Sitzfläche geführt und nicht die Rücklehne (hier lediglich Nut/Feder).



Lehne und Sitzflächen sind gemäss Entwurf geteilt und in unterschiedlicher Stärke ausgeführt (um den Eindruck der Beschleunigung optisch zu unterstützen).




Die gedrechselten Beine stecken verkeilt in Leisten, welche dann an die Sitzfläche geschraubt werden.


Eindrucksvolle Kontraste ergeben sich durch den Miteinbezug des Splintholzes. Zudem wurden für Sitz und Lehne benachbarte Bohlen verwendet, so dass sich ein gespiegeltes Bild (bookmatched) zeigt.

Nicht nur wenn man bedenkt, dass es Ihre erste Schreinerarbeit war, ist dieses Werk sehr beeindruckend. Die praktische Umsetzung dauerte gut vier Monate (jeweils zwei Halbtage pro Woche). Das Projekt findet sich dokumentiert in einer 44-seitigen Broschüre, die den ironisch-aktuellen Titel Bankgeheimnisse trägt. Darin wurde nicht nur der Arbeitsablauf beschrieben. Sie enthält auch einen theoretischen Teil, allgemeine Gedanken über den Beruf des Möbelschreiners und die Ideologie des democratic design (IKEA).

Als Ausblick noch einige Zitate aus der Arbeit: Liebend gerne würde ich wieder etwas schreinern. Es gibt schon weitere Pläne ... netter Küchentisch ... Eine Ausbildung als Schreinerin wäre eine gute Alternative .... Da ich jedoch meine Zukunftspläne nach dem Studium ausrichte, werde ich in Zukunft nur in meiner Freizeit handwerklich aktiv sein können.
Neben dem Projekt der Maturandin (von ihr stammen übrigens auch alle Fotos) hat mich auch das Engagement des Schreinermeisters beeindruckt. Es ist nicht selbstverständlich, dass sich Berufsleute die Zeit nehmen, junge Interessierte derart intensiv mit ihrem Fachwissen und ihrer Erfahrung zu unterstützen.
Ich hoffe, Ihr hattet ähnlichen Spass wie ich beim Betrachten dieses Projektes.
Gruss
Urs