Baubericht Windsor-Hocker *MIT BILD*

Hier werden Holzprojekte diskutiert, die vorwiegend mit Handwerkzeugen und nicht mit Maschinen realisiert werden. Hier ist auch ein Platz für traditionelle Oberflächenbehandlung von Holz. Ebenso geht es hier um klassische Handwerkzeuge zur Holzbearbeiteng, deren Bedeutung, Pflege und Gebrauch.
Tobias Kreitel
Beiträge: 128
Registriert: Sa 28. Jul 2012, 21:17

Baubericht Windsor-Hocker *MIT BILD*

Beitrag von Tobias Kreitel »


Hallo,

ich möchte wie in dem Thread über den Gummihammer erwähnt gerne den Bau eines kleinen Hockers in Windsor-Bauweise vorstellen.
Als erstes sei auf Curtis Buchanan und Peter Galbert verwiesen, denen ich so ziemlich alles abgeschaut habe, was ich hier nun zeige. Die Videos von Curtis auf Youtube sind einfach der Hammer. Wer die noch nicht gesehen hat: unbedingt anschauen, absolut sehenswert, auch wenn man kein Interesse am Selbstbau eines Stuhles haben sollte.

Der Ausgangspunkt war ein Stück Lindenholz aus dem ich eine Scheibe mit der Bandsäge gschnitten habe. Das erste Bild zeigt den Rohling schon mit den gebohrten 5/8" Löchern. Die Winkelgeometrie eines Hockers mit im Quadrat angeordneten Beinen ist deutlich leichter nachzuvollziehen als die eines "ausgewachsenen" Windsorstuhls mit unterschiedlichen "rake" und "splay"-Winkeln, dh. der Neigung der Beine nach vorne und hinten bzw. nach rechts und links. Alle vier Löcher sind mit nur einer Schmiege als optischem Hilfsmittel gebohrt worden. Der Trick besteht darin einen Fluchtwinkel zu finden, aus dem betrachtet das Bein als rechtwinkling stehend erscheint. Bei meinem Hocker ist das leicht - zwei Mittellinien die im rechten winkel zueinander stehen. Die Schmiege (mit 15° bzw. 105° Schräge eingestellt) wird dann auf dieser Fluchtlinie gestellt und der Bohrer daran ausgerichtet.



Als nächstes habe ich die vier Beine aus gespaltener Birke gedrechselt. Ich habe mich für die (einfacher zu drechselnde) Bambus-Form entschieden. Trotzdem muss ich noch kräftig üben; man beachte die ungleichmäßigen Einschnürungen...



Hier habe ich die Platte mit Niederhaltern zum Reiben eingespannt.



Die Beine haben einen konischen Zapfen angedreht, der nun auch ein konisches Loch benötigt. Dazu habe ich mir einen Aufreiber aus Eschenholz und einem alten Sägeblatt angefertigt. Der eingeschlossene Konus beträgt 6°. Um nun die Löcher im richtigen Winkel aufzureiben, stelle ich die Schmiege auf 12° (also um den halben Konuswinkel kleiner) ein. Nun kann ich die Schmiege an den Aufreiber heranschieben und den Winkel überprüfen.



Hier passt der Winkel noch nicht ganz, d.h. ich muss den Aufreiber beim Reibvorgang in die entsprechende Richtung (auf dem Bild nach rechts) drücken und wieder auf Kurs bringen.



Nun stimmt der Winkel in dieser Richtung.



Seitlich lässt sich die Richtung dadurch halten, dass man über die Spitze des Aufreibers, entlang eines aufgestellten Winkels auf die entsprechende Fluchtlinie peilt. Ist mit Worten schwer zu beschreiben, funktioniert aber sehr gut.



Mit fortschreitendem Reiben muss auch die Höhe bedacht werden. Dazu benutze ich einen großen Zirkel und steche auf der Innenseite am Beinansatz ein und überprüfe den Abstand zu einem Fixpunkt am jeweiligen Bein (hier die Einschnürung).



Auf diese Weise werden alle vier Beine eingepasst. Dabei muss man drei Punkte im Auge haben: den Winkel zur Schmiege, die Flucht zur Grundlinie und den Durchmesser des Loches bzw. die Höhe des Beines. Da der Aufreiber nur relativ langsam arbeitet, weil er oft gelüftet und von Spänen befreit werden muss, kann man sich mit der nötigen Behutsamkeit an die richtige Passung in alle drei Richtungen herantasten. Wenn der Konus sauber gedreht ist (ich überprüfe das mit einem aufgeriebenen Testloch) ergibt das eine enorm stabile Verbindung, die bei jeder Belastung an Festigkeit zunimmt.

Die vier Beine sind fertig eingepasst und der Hocker sieht langsam wie einer aus, wenn auch noch etwas klobig und wackelig.



Als letztes Bild für diesen Beitrag habe ich noch eine Ansicht wie ich die Längen für die unteren H-förmigen Quersproßen messe. Ich lege Gummibänder an die entsprechende Stelle wo die Sproßen hinsollen und messe dann dort wo die Gummibänder überkreuzt sind. So erhalte ich einen Wert für die Länge "im Zentrum" der Seitensproßen aus dem ich dann die fertige Länge errechne. Doch dazu beim nächsten Mal mehr.



Schöne Grüße,

Tobias

Tobias Kreitel
Beiträge: 128
Registriert: Sa 28. Jul 2012, 21:17

Fehlende Bilder und Links *MIT BILD*

Beitrag von Tobias Kreitel »


Bei mir werden die ersten zwei Bilder nicht angezeigt, daher hier nochmal:

Die Platte mit Löchern:


Die Beine:


Und hier noch drei Links:

Curtis Buchanan bei Youtube: https://www.youtube.com/user/curtisbuchanan52

Blog von Pete Galbert: http://chairnotes.blogspot.de/

und der Blog von Tim Manney: http://timmanneychairmaker.blogspot.de/

Schöne Grüße,

Tobias


Pedder
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Bilder ins Original einefügt

Beitrag von Pedder »


Hallo Tobias,

vielen Dan für den Bericht. Sehr interessant! Ich hab mir erlaubt, die Bilder an der von
Dir beschriebenen Stelle einzufügen, das liest sich dann netter.

Liebe Grüße
Pedder

Tom B.
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Registriert: Mi 20. Mär 2019, 14:18

so geht das nicht!

Beitrag von Tom B. »

[In Antwort auf #141367]
Einen wunderschönen guten Morgen Tobias,

BESCHWERDE!

So geht das nicht. Du baust so tolle Möbel, Hilfskonstruktionen und hast Techniken drauf, das kann man doch nicht nur mal "so nebenbei" vorstellen. Ich fänd's klasse, wenn Du mehr davon zeigen würdest. Ich bin schon richtig gespannt, wie's weitergeht. :-)

Herzliche Grüße

Tom

Klaus Kretschmar
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Re: Baubericht Windsor-Hocker

Beitrag von Klaus Kretschmar »

[In Antwort auf #141367]
Guten Morgen, Tobias.

Ich bin schwer beeindruckt. Die handwerkliche Leistung ist erste Sahne. Auch wenn -wie Du schreibst- manche Techniken von anderen übernommen wurden, ändert das an Deiner Handwerkskunst nichts. Die Anwendung dieser Techniken scheint Dir mühelos von der Hand zu gehen, so sieht es jedenfalls aus. Hierauf und auf das Ergebnis kommt es an. Der Stuhlbau an sich ist schon anspruchsvoll, der eines Windsor Stuhles jedoch in besonderem Maße. Tolle Arbeit mit einem mit erstaunlichem Ergebnis. Hut ab!

Klaus


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Volker Hennemann
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Re: Baubericht Windsor-Hocker

Beitrag von Volker Hennemann »

[In Antwort auf #141367]
Hallo Tobias,

klasse!!!
Ich habe viel gelernt aus deinem Bericht. Alleine schon der Trick mit dem Gummiband zum Ermitteln der Länge für die Querstreben.
Vielen Dank.

Herzlichen Gruß
Volker

Rolf Richard
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Re: Schwer beeindruckt!

Beitrag von Rolf Richard »

[In Antwort auf #141367]
Das beeindruckt mich sehr - würde ich selbst wohl kaum hinbekommen.

Der Gummibandtrick ist bestechend!

Gruss

Rolf

Tobias Kreitel
Beiträge: 128
Registriert: Sa 28. Jul 2012, 21:17

Baubericht Windsor-Hocker Teil 2 *MIT BILD*

Beitrag von Tobias Kreitel »

[In Antwort auf #141367]
Hallo,

vielen Dank für die freundlichen Worte bisher. So netter Zuspruch motiviert unheimlich, sodass ich den Hocker gerade fertig montiert habe. Hier nun der zweite Teil des Hockerbaus.

Ich war beim Ausmessen der Sproßen stehen geblieben. Für die zwei seitlichen Sproßen messe ich den Abstand zwischen den Beinen auf der Höhe der Markierung und addiere zwei mal die Zapfenlänge von 25mm plus 5mm extra um die Verbindung der Beine untereinander unter Spannung zu halten.
Für die Mittelsproße brauche ich die Gummibänder. Ich messe den Abstand zwischen den überkreuzten Gummis und subtraiere einmal den Durchmesser der äußeren Sproßen (hier 32mm) und addiere wiederum zweimal die Zapfenlänge (hier 22mm) und die 5mm extra wegen der Vorspannung.
Das sind die fertigen Sproßen.



Als nächstes Bohre ich die Zapfenlöcher 22mm tief rechtwinklig in die äußeren Sproßen. So spanne ich die Sproßen fest:



Damit ich genau zentrisch in das runde Bein bohre nehme ich einen Zirkel zu Hilfe um die Markierung genau mittig auszurichten.



Leider ist mir ein kleiner Fauxpas passiert. Ich hatte den großen Durchmesser der Sproßen von ursprünglich 38mm auf 32mm verringert, damit diese nicht zu wuchtig werden. Zwar habe ich das Zapfenloch 3mm kürzer gebohrt, allerdings blitzte schon die Schraubspitze des Schlangenbohrers auf der anderen Seite durch... Ich werde damit leben müssen. Glücklicherwise sind die kleinen Löchlein in den v-Nuten versteckt.





Um die Bohrungen in die Beine zu machen benötigt man den Winkel dieses Loches, sodass die Sproßen später waagerecht stehen. Wieder helfen die Gummibänder. Um den zweiten Schenkel des Winkels genau ablesen zu können braucht man eine Mittellinie entlang des Beines. Ich habe eine Leiste mit Graphit versehen und dann entlang der eingesteckten Beine gerieben, sodass die Bleistiftmine eine Linie genau in der Mitte des Beines hinterlässt. So war das Ablesen des Winkels von 80° leicht möglich. Dieser Winkel gilt für alle vier Beine, trotzdem habe ich es an allen nochmal nachgemessen. Bei einem Stuhl würden sich an den hinteren und vorderen Beinen unterschiedliche Winkel ergeben.





Das Bohren erfolgt wieder eingespannt in den Prismaklötzen. Die Schmiege dient als Richtschnur.



Vor dem Zusammenbau habe ich noch die Fase auf der Unterseite mit Ziehmesser und Schweifhobeln ausgearbeitet und die Unterseite verputzt.





Den Rest schreibe ich später in einem neuen Beitrag.

Schöne Grüße,

Tobias



Tom B.
Beiträge: 417
Registriert: Mi 20. Mär 2019, 14:18

Re: Baubericht Windsor-Hocker Teil 2

Beitrag von Tom B. »


Schönen guten Abend Tobias,

einfach nur: toll!

Das habe ich jetzt zweimal gelesen. Diese Materie ist noch recht neu für mich. Das ist alles sehr schlüssig und sieht super aus. Tief beeindruckt bin ich ja wirklich, dass Du alles per Hand machst! Der ein oder andere hätte spätestens bei den anspruchsvollen Bohrungen zur Maschine gegriffen. So aber bekommt das Selber Bauen noch mal eine ganz andere - höhere - Qualität.

Danke, dass Du uns daran teilhaben lässt.

Herzliche Grüße

Tom

... der schon ganz gespannt ist, wie Du die Sitzfläche ausformen wirst :-)

Tobias Kreitel
Beiträge: 128
Registriert: Sa 28. Jul 2012, 21:17

Windsor-Hocker Teil 3 *MIT BILD*

Beitrag von Tobias Kreitel »

[In Antwort auf #141367]
Hallo,

als letztes möchte ich noch einige Bilder vom Zusammenbau zeigen. Trotz aller Vorbereitung und Planung wird das Verleimen doch immer irgendwie zu einem gehetzten Chaos. Deshalnb habe ich nur wenige Bilder anzubeiten.

Als Leim benutze ich Hautleim. Damit die offene Zeit etwas länger wird, mische ich dem noch unaufgelösten Leimperlen normales Speisesalz im Verhältnis von ca. 1:4 zu. Damit habe ich gute Erfahrungen gemacht. Bei einem Bruchversuch mit Leim der nach 20min ohne Wärmezufuhr aufgetragen wurde, hat das Holz vor der Leimfuge versagt. Ich mische den Leim immer frisch an, ein Teelöffel Granulat ist schon zu viel für die Verleimung des Untergestells. Nachdem der Leim in der gleichen Menge Wasser 1-2 Stunden gequollen ist, erwärme ich ihn sekundenweise in der Mikrowelle und stelle die Konsistenz mittels Wasserzugabe ziemlich dünnflüssig ein. Ohne weitere Wärmezufuhr trage ich den Leim auf die Zapfen und in die Löcher auf und füge die Teile (wegen der engen Passungen teilweise mit heftigen Hammerschlägen) zusammen. Sollte es zu Verzögerungen kommen, schiebe ich das Glas einfach nochmal einige Sekunden in die Mikrowelle und fahre dann fort.

Das erste Bild zeigt die verleimten Sproßen. Daneben sieht man das Glas mit dem Leim. Falls etwas an Leim herausquillt wische ich dies mit einer Zahnbürste und recht viel Wasser weg, auch wenn ein späteres Putzen auch unproblematisch wäre.



Das nächste Bild zeigt das fertig verleimte Untergestell noch ohne Platte. Das Verleimen der Sproßen mit dem ersten Bein ist am kniffligsten, denn man muss den Zapfen so rotieren, dass die Sproßen später waagerecht liegen und die übrigen Zapfen an ihren Löchern anliegen. Dazu treibe ich nach Augenmaß den ersten Zapfen ca. 1/3 tief ein, setze das Bein in sein Loch in der Sitzplatte und überprüfe ob die sproßen in der richtigen Ebene liegen. Es wird dann beim weiteren Eintreiben der Sitz des Zapfens korrigiert und man kann mit den übrigen Beinen fortfahren. Nun ist es leicht die richtige Stellung durch vergleichen mit dem ersten Bein zu erhalten.



Oh Schreck! Nichts passt! Nicht ganz, die Sache täuscht. durch die Neigung nach außen müssen die Zapfen der Beine freundlich in Ihre spätere Position gezwungen werden, was problemlos geht. Im allgemeinen ist es erstaunlich wie Fehlertolerant die Windsor-Bauweise doch ist.



Hier noch ein Bild von der Herstellung der Keile aus einem Reststück gespaltener Esche. Nachdem die Beine in die konischen Löcher eingetrieben wurden, werden sie von oben noch verkeilt. Die Sägeschnitte dazu habe ich vor dem Zusammenbau angebracht. Zu beachten ist, dass man die Keile gegen Hirnholz drücken lassen muss um den Sitz nicht zum reißen zu bringen.



Und schließlich der fertig montierte Hocker. Was noch zu tun bleibt ist das Verputzen der Sitzoberseite und das Formen des Radius am oberen Rand. Ich denke ich werde mal ein einfaches Öl-Finish für diesen Hocker ausprobieren.



Hier nochmal aus einer anderen Perspektive:



Vielen Dank für euer Interesse. Gerne beantworte ich eventuelle Fragen eurerseits.

Schöne Grüße,

Tobias



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