Anziehen eines Grats

Hier werden Holzprojekte diskutiert, die vorwiegend mit Handwerkzeugen und nicht mit Maschinen realisiert werden. Hier ist auch ein Platz für traditionelle Oberflächenbehandlung von Holz. Ebenso geht es hier um klassische Handwerkzeuge zur Holzbearbeiteng, deren Bedeutung, Pflege und Gebrauch.
Marc Waldbillig
Beiträge: 1247
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Anziehen eines Grats

Beitrag von Marc Waldbillig »


Hallo liebe Leute,

Nachdem wir uns dieser Tage den Bauch vollgeschlagen haben, könnten wir doch langsam an die Werkstatt denken. Die Zeit zwischen den Jahren lädt geradezu ein, ein wenig Holz unters Eisen zu nehmen.

Letztens sprachen wir an dieser Stelle über die Verwendung von Ziehklingen und Ziehklingenhobel. Ich hab damals schöne Bildchen von Spänen gezeigt, es aber versäumt, einen Eindruck vom Grat zu vermitteln. Das will ich bei ebendieser Gelegenheit nachholen. Letztere ist eine nette Neuanschaffung, hier bei der Arbeit, wie man sieht:



Beim Grat Anziehen gibt's einige wichtige Vorgänge, die man nicht so la la überspringen kann, nein, man muss sich ziemlich genau dran halten. Zuerst wäre ein gut geschliffenes Eisen mit 45° Fase. Der Spiegel kann mit dem "Rulertrick" zeitsparend poliert werden. Das hab ich gestern Abend getestet und klappt ganz gut. So hab ich etwa eine Stunde Arbeit gespart.
Das geschliffene Eisen, Ecken abgerundet, kommt Fase nach oben und vorne in die Vorderzwinge. Ein wenig Öl auf der Fase hilft, damit der Ziehklingenstahl schön gleiten kann. Dann wird der Stahl links auf der Fase aufgelegt, minimal angehoben und einmal gleichmäßig mit mittlerem Druck nach rechts geführt. Ungleichmäßiger Druck schlägt sich nieder in ungleichmäßigem Grat. Letzterer bewirkt wiederum sichtbare Katzspuren auf dem Werkstück. Gleich danach folgt noch ein Streich, diesmal den Stahl noch ein wenig weiter angehoben. Das letzte und dritte Mal soll der Wetzstahl maximal angehoben sein, das in etwa dann so aussieht:



Über diesen Winkel geh ich nie hinaus, der Grat wird zu weit Richtung Senkrechte gezogen. Normalerweise müsste der Hobel jetzt schöne Spänchen ziehen und eine feine, matte Oberfläche hinterlassen. Tut er's nicht, muss die ganze Prozedur wiederholt werden. Zuerst muss jedoch der Grat wieder ab. Ein Nachziehen des Grats verbietet sich, da man ja wieder unten anfangen würde und dann den Grat hochziehen würde. Der bestehende Grat würde weiter aufgerollt werden.

Ich hab versucht, zwei Fotos vom Grat zu machen, so wie er mir gut scheint. Zuerst Fase nach oben:



Dann Fase nach unten, dort ist der Grat am besten zu sehen:



Ein kleiner "Fehler", den ich noch beheben will, ist an meinem Wetzstahl. Er ist nur rau geschliffen und muss noch poliert werden. Der Grat wird dann automatisch schärfer. So zu lesen in der Fachliteratur.

Übrigens gelingt der Grat besser, wenn man nicht versucht zwischendurch noch ein paar Fotos zu schießen. Man muss dann nachher auch nicht die ganze Chose wieder von vorne starten.

Ich hoffe, der Beitrag kann dem einen oder anderen nützlich sein. Ich wünsch euch noch ein paar faszinierende Werkstatttage,

Marc



reinhold
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Registriert: Do 17. Sep 2020, 16:38

Re: Anziehen eines Grats

Beitrag von reinhold »


hallo Marc,
ein sehr guter und hilfreicher Beitrag. Ich doktere nämlich auch gerade mit einem alten Stanly Cabinet Scraper #80 herum.
Frage : was ist der Ruler Trick? Oder habe ich da etwas überlesen - voller Bauch studiert nicht gern?

Gruss
reinhold



Gerhard
Beiträge: 2465
Registriert: Di 23. Okt 2018, 09:42

Re: Anziehen eines Grats

Beitrag von Gerhard »


Hallo zusammen,

@Marc
meinst Du mit mit dem "Ruler Trick" das Anschleifen einer Rückenfase mit Hilfe eines untergelegten Stahllineals? Kenne ich nur von Hobeleisen. Konnte mich aber bisher auch nicht über die Spiegelseiten der Eisen meines Ziehklingenhobels beschweren.
Hast Du auch ein dünnes Eisen für den Hobel? Wie lassen sich die Eisen denn miteinander vergleichen? Ich habe mich damals für dünne Eisen entschieden um eine Durchbiegung einstellen zu können.

Zum Schärfen und Grat anziehen:
Ich habe mir zum Schärfen und Grat anziehen den Feilenhalter und den Gratzieher von Veritas gekauft. Nun sind diese sehr nütlichen Geräte seit Monaten verliehen.

Den Versuch, 45° freihändig zu schleifen habe ich aufgegeben und mir eine Vorrichtung gebaut: Eine 45° Schräge, dahinter eine Auflage für den Schleifstein. Das ganze wird in die Hobelbank eingespannt. Damit kann man nicht anders als den Winkel genau treffen. Damit habe ich soweit Möglich mit der Diamantplatte, dann mit einem alten King Kombi geschliffen. Den Stein immer ein bißchen hoch/runter bewegt, damit sich die Klinge nicht zu sehr eingräbt.

Grat anziehen genau wie Marc es beschrieben hat. Mein "Ziehklingenstahl" war ein fein geschliffener HSS-G Metallbohrer 6mm. Ich werde mir mal so einen Bohrer in einen Griff einkleben. 1A Ziehklingenstahl.

Viele Grüße,
Gerhard



Friedrich Kollenrott
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Re: Anziehen eines Grats

Beitrag von Friedrich Kollenrott »

[In Antwort auf #114226]
Hallo Marc,

das ist interessant: Du benutzt also zum Gratandrücken eine Fläche des dreikantigen Stahls (nicht Wetzstahl, bitte, das ist wirklich ein anderes Ding) und hältst den so wie gezeigt, also als ob Du (wenn es eine Dreikantfeile wäre)eine kleine Mikrofase anfeilen würdest?

Das finde ich wirklich erstaunlich, kann mir kaum vorstellen, dass eine ähnlich gute (polierte) Schneide entsteht wie bei einem runden Ziehklingenstahl, der durch seine Form eine viel höhere Flächenpressung an der Kante erzeugen kann. Oder drückst Du wie ein Bär? Du solltest auf jeden Fall (wie schon angekündigt) den Stahl nacharbeiten polieren) und dann mal berichten, was dabei rauskommt. Ich werde sicher mal eine alte Sägefeile glattmachen und auch mal sehen, wie es funktioniert.

(ggf. machen wir mal einen Vergleich: Runder Stahl gegen dreieckiger- wo doch schon der Umbau eines Deiner LN's zu einem Infill zu den Akten gelegt werden musste.....)

Friedrich



Marc Waldbillig
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Re: Anziehen eines Grats - Details

Beitrag von Marc Waldbillig »


Hallo nochmals,

Reinhold, wie Gerhard schon beschrieben hat, der Rulertrick besteht darin, ein kleines Stahllineal auf die vordere Kante des Abziehsteins zu legen. Am besten geht das auf einer Paste, die du mit einem Nagura erzeugst, dann klebt das Lineal sich fest. Siehe dieses Bild:



Nach Bearbeiten der Fase polierst du den Bereich an der Schneide indem du zuerst den Grat abstreichst und dann mit kurzen Vor- und Zurückbewegungen die Kante polierst. Der Bereich ist etwa einen Millimeter breit. Unnötig zu erwähnen, dass die Spiegelseite ausreichend eben sein sollte. Ich schleife vorher auf einem 800er King Stein.

Gerhard, ich hab ein dickes Eisen, LN liefert nur solche. Meine Erfahrungen mit einem dünnen Eisen beschränken sich auf Misserfolge. Wobei ich letztere nicht auf die Dicke des Eisens oder die Qualität des Stahls zurückführen kann. Die Späne waren sehr kurz und die Oberfläche schlechter als mit dem Putzhobel (55°) bearbeitet. Ich glaube auch, dass nur Veritas beide Eisen anbietet und die Option zum Durchbiegen des dünnen Eisens anbietet. Gerne würd ich so ein Teil mal testen.

Ich benutze eine ganz einfache, billige und nützliche Schärfhalterung, sie ist auch auf dem Bild. Sie funktioniert prächtig. Zum Einstellen nicht geläufiger Winkel benutze ich folgende Anpeil-Methode:



Friedrich, ich hab mich dabei erwischt, Wetzstahl zu schreiben, weil die raue Oberfläche mich dran erinnert hat. Als Maschinenbauer musst du mir das natürlich übel nehmen ;-) Ansonsten, der dreieckige Ziehklingenstahl von Ulmia verlangt wenig Kraft. An meinem werd ich auch die rauen Kanten etwas mildern. Die große Auflagefläche verteilt den Druck auf einen längeren Bereich der Schnittkante und somit wird es meiner Meinung nach leichter einen gleichmäßigen Grat anzuziehen. Das ist jedoch reine Spekulation.

An den Umbau eines LN in einen Infill kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern... Bitte hilf mir doch auf die Sprünge... Oder meintest du, dass ich beide mal vergleichen wollte? Hm?

Gruß, Marc



Friedrich Kollenrott
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Registriert: Fr 19. Mär 2021, 17:09

Re: Anziehen eines Grats - Details

Beitrag von Friedrich Kollenrott »


Hallo Marc,

ich hab mir eben mal die Mühe gemacht, eine Sägenfeile umzuarbeiten (Eine Seite glatt gemacht bis zur Politur, deren Kanten auch etwas abgerundet). Kann ich nur denjenigen zur Nachahmung empfehlen, die einen Schleifbock oder Bandschleifer haben, das Zeug ist sowas von hart... Theoretisch wusste ich immer schon, wie hart eine Feile ist, jetzt aber auch praktisch.

Damit hab ich mit dieser Fläche einen Grat an einer Ziehklinge angedrückt. Und: Es geht. Man muss aber wirklich drücken wie ein Bär. Der Grat wird sehr klein, man fühlt ihn kaum, aber er schneidet sehr gut.

Dann hab ich mir klar gemacht: Du drückst ja einen Grat an eine 45°- Kante, klar, dass das leichter geht als bei einer Ziehklinge mit ihren 90°. Und Du hast vermutlich auch recht: Mit dem Dreikantstahl ist die Wahrscheinlichlkeit, eine wirklich gerade Schneidkante hinzukriegen, größer.

Insofern ist mein Weltbild jetzt wieder in Ordnung.

Zum LN- Infill: In einer lang vergangenen Diskussion zu Infills und eisernen Hobeln hatte ich Dir vorgeschlagen, doch einen Deiner LNs zu einem Infill umzubauen. Ich glaube, ich hatte auch angeboten, daran mitzuwirken. War nicht ganz ernst gemeint, und Du warst auch nicht so richtig drauf eingestiegen. Aber, wie gesagt, ist wirklich schon lange her.

Friedrich



Gerhard
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Registriert: Di 23. Okt 2018, 09:42

Re: Anziehen eines Grats - Details

Beitrag von Gerhard »


Hallo Marc,

wenn der Sprit im Januar wieder teurer wird bin ich sicher wieder öfter in Luxembourg. Ich komme zwar meistens nur bis Schengen....

Wenn Du Interesse hast, mal ein bißchen LN un LV zu vergleichen können wir da sicher was organisieren.

Viele Grüße,
Gerhard



Ottmar
Beiträge: 321
Registriert: Sa 28. Jul 2012, 21:17

Re: Anziehen eines Grats - Details

Beitrag von Ottmar »


Hallo Marc & Forumsfreunde

vielen herzlichen Dank fuer die uneigenuetzige Mitteilung deiner Erfahrungen.
Ich moechte sagen, dass ich mit einer Ziehklinge umgehen kann, auch der # 80 von Stanley oder Kunz funktioniert bei mir prima. Nebenbei bemerkt, das Durchbiegen der Klinge funktioniert beim # 80 durch anziehen der Schraube, hat jedoch beim # 112 bei mir keine Wirkung gezeigt, da sich keinerlei Durchbiegung erzielen laesst.

Ich bin gerade dabei meinen #112 von Kunz zu Tunen und werde davon berichten, da ist dein Bericht schon eine grosse Hilfe, zumal in dieser Ausfuehrlichkeit ich noch nichts (rein garnichts) in Buechern usw gefunden habe.

Lieber Mark nochmals vielen Dank fuer Deinen Erfahrungsbericht.

Dir und allen Forumsmitgliedern alles Gute im neuen Jahr.

mfg

Ottmar



Marc Waldbillig
Beiträge: 1247
Registriert: So 6. Okt 2013, 21:41

Re: Anziehen eines Grats - Details

Beitrag von Marc Waldbillig »

[In Antwort auf #114231]
Hallo Friedrich,

Da haben wir's ja wieder. Da ist man im stillen Kämmerlein allein und macht's anders wie all die andern... Einen großen Dank an dich, dass du das mit der Feile überprüft hast.

Bestätigen kann ich, dass Ziehklingen deutlich mehr Kraft beim Gratanziehen verlangen als Ziehklingenhobeleisen (welch schreckliche Wortkonstruktion). Hinzu kommen frappante Unterschiede in der Härte von Hersteller zu Hersteller. So lassen sich LN-Ziehklingen sehr leicht, Clifton-Pendants nur schwierig mit Grat versehen bei einem dreieckigen Querschnitt des Stahls.

Auf Deine Anregung hin, werd ich's demnächst mit einem runden Querschnitt versuchen.

Gruß und nochmal schönen Dank,

Marc

P.s.: Warum wollte dein Weltbild verrutschen?



Marc Waldbillig
Beiträge: 1247
Registriert: So 6. Okt 2013, 21:41

Re: Anziehen eines Grats - Details

Beitrag von Marc Waldbillig »

[In Antwort auf #114232]
Hallo Gerhard,

Ja, sicher hab ich Interesse, ich schick dir eine Mail und wir machen was aus. Allerdings wird Sprit (2 cent mindestens) und Diesel (1,25 cent mindestens) auch bei uns teurer ab 1. Januar.

Gruß, und vielleicht will sich ja noch jemand aus der Nähe kurzentschlossen hinzugesellen zu LN- und LV-Vergleich am lebenden Objekt,

Marc



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