Der Wert *MIT BILD*

Hier werden Holzprojekte diskutiert, die vorwiegend mit Handwerkzeugen und nicht mit Maschinen realisiert werden. Hier ist auch ein Platz für traditionelle Oberflächenbehandlung von Holz. Ebenso geht es hier um klassische Handwerkzeuge zur Holzbearbeiteng, deren Bedeutung, Pflege und Gebrauch.
Marc Waldbillig
Beiträge: 1247
Registriert: So 6. Okt 2013, 21:41

Der Wert *MIT BILD*

Beitrag von Marc Waldbillig »


In einer düsteren Stunde frag ich mich, worin der Wert unserer Arbeit liegt, will sagen in einem Papierkorb an dem wir jetzt ein Jahr arbeiten, an einem Hobel, den wir uns selbst konstruieren, an einem Boden, den wir für einen alten Schrank konstruieren. Vielleicht auch an einem größeren Projekt, ein Balkon, den wir an unser Haus setzen, eine Werkstatt, die wir uns unbedingt einrichten wollen. Was treibt uns an, etwas zu tun, das unser Nachbar nur mit einem Kopfschütteln im Vorbeigehen quittieren kann und welches manifest sein Unverständnis ausdrückt. Leben wir bloß in der falschen Umgebung oder ist es mehr, leben wir etwa in der falschen Zeit? Was verbindet uns? Doch nicht nur die Liebe zu gutem Werkzeug?

Warum hängen wir uns so rein, etwas zu tun, das jemand anders gar nicht erst angeht oder fertig verpackt einkauft?

Ich würd mich nicht nur ungemein freuen, einige Antworten zu erhalten, die mir Aufschluss über meine Triebfeder geben würden, sondern mir wäre auch damit die Seele gewärmt.

Gruß,

Marc

Anbei ein Foto meiner fast vollendeten Sommerbeschäftigung

Dietrich
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Registriert: Mo 27. Okt 2014, 22:01

Re: Der Wert

Beitrag von Dietrich »


Hallo Marc,

weil wir Menschen sind, weil wir keine Möbel aus dem Automaten wollen, weil wir die Diskussion um Spanplatten satt haben, weil wir etwas mit unseren Händen, und mit unserer Birne erschaffen wollen, weil Holz ein wunderbarer Werkstoff ist, vielleicht weils der Nachbar eben nicht kaufen kann, weil wir helfen können, weil uns unsere Frau bewundert, weil es nicht schnell geht, weil wir ein besseres Gefühl dabei haben, vielleicht weil wir den falschen Beruf haben, weil gutes Werkzeug Freude bereitet, weil wir Sammler sind, weils in der eigenen Werkstatt schön ist und weils da draußen immer schlimmer wird, weil wir immer noch was dazu lernen, weil das Forum so gut ist!

Gruß Dietrich

Friedrich Kollenrott
Beiträge: 3208
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Re: Der Wert

Beitrag von Friedrich Kollenrott »


Hallo Marc,

das frag ich mich auch oft. Warum tu ich das mit so viel Hingabe? Jahrzehntelang hab ich immer nur so ein bißchen vor mich hingewerkelt, und seit drei oder fünf Jahren ist es mir wirklich wichtig geworden. (wobei dieses Forum inzwischen eine große Rolle spielt).

Ich glaube , dass ich selbst mich da in einer persönlichen Flucht vor der Entwicklung um mich herum befinde: Eine Gesellschaft, die ihre Probleme mit immerwährendem Wachstum lösen will und damit, davon bin ich überzeugt, nur auf eine Wand zu beschleunigt- das macht mir alles keine Freude mehr. Ein Produktivitätswahn auch im privaten Bereich, obwohl wir inzwischen mühelos viel mehr produzieren können, als wir brauchen- Was soll das? Freizeitbeschäftigungen die nur aus verordnetem Konsum bestehen, Verwendung vorgefertigter Baumarktartikel mit möglichst wenig Anspruch an den ders tut.

Wenn man etwas selbst herstellt- und zwar nicht eine Kopie eines Artikels, den die Industrie anbietet, sondern etwas Eigenes, Selbstgestaltetes, und dabei auch noch die Benutzung der Werkzeuge, mit denen es jeder kann (denkt er, haha!) ganz oder teilweise verweigert, dann zur eigenen Verblüffung feststellt, dass man sogar eine hervorragende "Produktqualität" zustandebringt- das ist schon was Tolles. Es ist ja nicht nur so, dass der Nachbar oder Kollege den Kopf schüttelt. Er sieht ja auch, dass ich etwas mache, das so nicht zu kaufen ist und dass es eben nicht "Basteln" im herablassenden Sinne ist.

Die intimen Freuden der Holzbearbeitung bis hin zum eigentlich total unsinnigen 5- Sekunden- Span- das wird ein Außenstehender nicht nachvollziehen können. Muss er auch nicht, dazu muss man erstmal üben. Ich kann was, was er nicht kann, und ich habe Freuden, die er nicht kennt!

Was mir auch sehr die Seele wärmt, ist der Umgang mit altem Werkzeug. Bei aller überlegenen Perfektion der Lie- Nielsens oder Veritas- ein alter Stanley aus den zwanziger oder dreißiger Jahren- was hat der wohl alles gesehen? Damit habem Menschen ihren Lebensunterhalt verdient, und das merkt man den Werkzeugen auch an. Wie die alten Werkzeuge in der Hand liegen, das erreichen die Neuen nicht, und wenn sie noch so perfekt plane Sohlen haben.

Für mich tritt auch immer mehr der Aspekt in den Vordergrund, dass ich (57 Jahre, Maschinenbauingenieur, Dozent) irgendwas zurücklassen möchte, was Auskunft über mich gibt und später auch noch zeigt, dass ich was konnte über mein monatliches Gehalt hinaus. Ist vielleicht albern, aber... Ich signiere, was ich baue, einschließlich Jahreszahl (irgendwo auf der Rückseite). Ich habe ein paar Sachen von meinem Vater, beispielsweise das Torfstecherwerkzeug, das er benutzt (und signiert) hat. Sowas finde ich viel schöner und aufschlussreicher als etwas Schriftliches, was eine Person hinterlässt und was dann doch niemand lesen mag.

So, jetzt reicht es, die Nacht ist fast um.

Übrigens, eine schöne Terasse hast Du da gebaut!

Friedrich


Thomas
Beiträge: 95
Registriert: Sa 28. Jul 2012, 21:17

Re: Der Wert

Beitrag von Thomas »


Mein Vater hat Bäume gepflanzt :).
Die wachsen noch, eine schönere Erinnerung gibt es nicht, genauso wie ein schönes Werkstück.
Ich denke diese Wegwerfmentalität ist nur in Dt. in Europa ?

Einen schönen Sonntag wünscht Thomas !

Schöne Terasse Marc, ist noch ausbaufähig :).

Es grüßt Dich Terassenbauer Thomas

Armin Dreier
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Re: Der Wert

Beitrag von Armin Dreier »

[In Antwort auf #103753]
Hallo Marc,

uns verbindest vielleicht eine Mischung aus Idealismus und Perfektionismus. Wenn man etwas selbst herstellt hat man die 100 prozentige Kontrolle über das Produkt. In jeder Hinsicht. Du weisst eben nacher genau was Du hast. In meinem Fall spielt natürlich auch noch der Preis mit. Wenn ich etwas selbst herstelle (gute Zutaten vorausgesetzt) ist das Resultat normalerweise besser als ein gekauftes Stück. Abgesehen dass ich vom Design her föllig frei entscheiden kann. Das geht zwar auch beim Kaufen (Sonderanfertigung) aber nur in höheren Preislagen. Ich baue ein Massivmöbel und bezahle den Ikea Preis für's Material. Was ich nacher habe hält locker mein ganzes Leben und passt optimal, was will man mehr. Ich denke das macht einen grossen Teil des Aufwands aus den wir alle betreiben.

PS: Deine Sommerbeschäftigung hat ein sehr überzeugendes Resultat ergeben. Alles aus Eiche gefertigt, wenn ich mich recht erinnere, oder?

Marc Waldbillig
Beiträge: 1247
Registriert: So 6. Okt 2013, 21:41

Re: Der Wert

Beitrag von Marc Waldbillig »


Danke für die Antworten, ich konnte mich in allen wiederfinden. Ich denke, es geht einigen so. Das Schöne ist wahrscheinlich banal; in diesem Forum treffen sich Gleichgesinnte.

Armin, ja der Balkon ist ganz aus Eiche, denn ich wollte sparen :-) an Öl, an Leim, an Farbe und an Arbeit. Ich setz mich jetzt auf die Terrasse und schau zu, wie schön grau alles wird.

Thomas, der Terrassenbauer, was könnt ich noch ausbauen? (Nächster Sommer ist noch nichts geplant:-)

Gruß,

Marc

Christof
Beiträge: 222
Registriert: Mo 29. Apr 2013, 23:37

Re: Der Wert

Beitrag von Christof »


Hallo Marc,
ich schließe mich mal hier hinten an.
Es gibt viele pragmatische Gründe, die Dietrich und Armin wunderbar kurz aufgeführt haben. Für mich liegt das genießen aller dieser Vorteile etwas zugrunde, das ich als das stille Gespräch des Geistes mit sich selbst nennen möchte. Andere Leute gehen dazu spazieren, manche malen, musizieren oder tun noch ganz anderes, wichtig ist nur, daß Bewegung im Spiel ist, die den Geist weckt, befreit anregt, begleitet. Um das zu erreichen gehe ich an die Hobelbank, mögen andere anderes tun.

Viele Grüße, Christof.

Georg
Beiträge: 1254
Registriert: Sa 28. Jul 2012, 21:16

Re: Der Wert

Beitrag von Georg »

[In Antwort auf #103753]
Wenn man wie ich in der Qualitätskontrolle eine Pharmaunternehmes arbeitet und über jeden Handgriff Rechenschaft ablegen muß, irgendwelche Unregelmäßigkeiten seitenlang protokollieren muß, dann tut es unheimlich gut, sich abends in seine Werkstatt zurück zu ziehen und irgend etwas losgelöst vom Zwang der allgegenwärtigen Vorschriften zu arbeiten. Das ist für mich einfach ein Stück Lebensqualität, Dinge so herzustellen, wie ich sie mir vorstelle, ohne jemanden darüber Rechenschaft ablegen zu müssen, warum ich irgendetwas so und nicht anders gemacht habe. Daß dabei auch noch Gegenstände entstehen, die anderen Freude bereiten, und auch ob ihrer Qualität geschätzt und auch entsprechend behandelt werden, ist eine zusätzliche Befriedigung.
Sicher, der heute allgegenwärtigen "Geiz ist Geil"-Mentalität kann man sich manchmal nur schwer entziehen, aber gerade durch so ein Hobby lernt man Qualität und Langlebigkeit wieder zu schätzen. Nach rein kaufmännischen Gesichtspunkten ist der Selbstbau eines Tisches oder eines Schrankes sicher nicht zu rechtfertigen, aber wer sein ganzes Leben nur unter Rentabilitäts-Gesichtspunkten ausrichtet, hat in meinen Augen keine Lebensqualität. Einfach nur (kritiklos)konsumieren macht auf Dauer unzufrieden. Der heutige Zustand unserer Gesellschaft macht es doch überdeutlich. Heute nimmt sich doch kaum noch jemand die Zeit, einfach einmal innezuhalten und die Seele baumeln zu lassen. So etwas kann man ja heute nicht machen, ist ja sinnlos vertane Zeit. Dafür gibt es dann Wellness-Wochenenden, die aber auch von Anfang bis Ende verplant sind. Wo da das Wohlbefinden bleibt, kann ich nicht nachvollziehen.
Es mag manchem vielleicht komisch vorkommen, aber ein typisches Beispiel für diesen Zwang jede Minute auszunutzen ist der Friseur. Vor einigen Jahren ging man Samstag morgens einfach hin, setzte sich in den Laden, wartete bis man dran kam und ließ sich dann die Haare schneiden. Während der Wartezeit las man die Zeitung oder Illustrierte oder beteiligte sich an den oft lebhaften Diskussionen über Gott und die Welt. Nach dem Haarschnitt ging man dann zufrieden und entspannt aus dem Laden. Aus diesem Grunde ging ich auch zu einem alten Friseur, der mehr oder weniger einen Einheitshaarschnitt anbot, diesen aber handwerklich perfekt durchführte. Von Bekannten und Kollegen wurde ich damals oft wegen meines Haarschnittes aufgezogen. Aber wie sieht es heute aus? Dieser alte Friseur hat sein Geschäft mittlerweile aus Altersgründen aufgegeben, so daß´ich gezwungen war mir einen neuen Friseur zu suchen. Aber dort sieht es so aus, daß man sich erst einmal anmelden und sich einen Termin geben lassen muß. Spontan geht schon einmal gar nichts, da bei dem neuen Friseur Stühle für wartende Kunden nicht vorhanden sind. Wieso auch, denn jeder kommt ja zum angegebenen Termin und kann gleich auf dem Friseurstuhl Platz nehmen. Kommt man dann in den Laden, merkt man meistens gleich die schlechte Stimmung, weil der Zeitplan wieder durcheinander geraten ist und die Kunden maulen, weil sie zum angemeldeten Zeitpunkt eben doch nicht gleich nicht drankommen. Das hat für mich zur Folge, daß ich nur noch zum Friseur gehe wenn es wirklich nicht mehr anders geht, weil mir dieser Zwang einfach Unbehagen schafft.
Ähnlich ist es doch heute überall. Man hetzt nur noch von Termin zu Termin, geht etwas schief, fällt der ganze ausgefeilte Zeitplan wie ein Kartenhaus zusammen. Stress und Hektik sind die Folge. Wie glücklich sind doch solche Leute zu schätzen, die in der Lage sind, sich zumindest teilweise von diesen Zwängen frei zu machen und etwas weitab von irgendwelchen Produktivitätsnormen oder Zeitvorgaben zu tun, einfach weil sie es tun wollen. Und diese daraus resultierende Befriedigung ist mit Geld eigentlich nicht aufzuwiegen, so daß sich die Frage nach dem Wert unseres Tuns eigentlich gar nicht stellt. Da ich mich, zumindest von mir aus betrachtet, zu diesen Glücklichen zähle, bin ich eigentlich so reich, daß ich mir gutes Werkzeug und gute Materialien leisten kann, um daraus etwas dauerhaftes zu schaffen, jenseits des heute allgegenwärtigen Konsumzwanges.
Um noch einmal die Frage nach dem Wert unserer Arbeiten aufzugreifen. Rein kostenmäßig betrachtet ist unsere Vorgehensweise sicher ein Verlustgeschäft, aber rechnet man die durch die Arbeit entstehende Befriedigung und die daraus resultierende Lebensqualität dagegen auf, stellt sich die Frage nach dem Wert überhaupt nicht mehr, ganz einfach, weil das was wir tun unbezahlbar ist. Und noch eine Anmerkung zum Schluß: wer den Wert einer solchen Arbeit nicht zu schätzen weiß, der hat sie auch nicht verdient. Der Kenner weiß aber um den Wert einer solchen Arbeit. Er wird sie auch gebührend schätzen und auch daraus einen Zugewinn an Lebensqualität erfahren und er wird sich glücklich schätzen, etwas zu besitzen, das fernab von irgendwelchen Kosten- Nutzenrechnungen entstanden ist, einfach aus dem Bedürfnis heraus etwas dauerhaftes zu schaffen und anderen Freude zu bereiten. Und alle, die sich diesen Luxus leisten (können) sollten sich glücklich schätzen und ihr Hobby nicht unter irgendwelchen Rentabilitätsgesichtspunkten betrachten. Der aus einem solchen Hobby entstehende Gewinn an Lebensqualität und Zufriedenheit läßt sich mit Geld nämlich nicht aufwiegen.


Walter Heil
Beiträge: 1425
Registriert: Sa 28. Jul 2012, 21:17

Re: Der Wert

Beitrag von Walter Heil »


Hallo,
unter dem Aspekt hab' ich's noch nicht gesehen, aber es ist wohl was dran: das Arbeiten mit Holz als therapeutische Maßnahme. Leistungsdruck, zu wenig Selbstbestimmung und die Unmöglichkeit, kreativ tätig zu werden, ist für viele im Berufsleben leider Realität, die auf Dauer schwer oder nicht verkraftbar ist. Dazu kommt eine Veränderung der gesellschaftlichen Werte, die den immer kurzfristigeren Erfolg, und zwar nur noch den wirtschaftlichen, zum Vorbild macht. Da braucht's eine zweite Welt, in der man das ausgleichen kann. Interessanterweise gibt es da zwei Fraktionen: die "der-Weg-ist-das-Ziel"-Fraktion und die "das-Ziel-ist-das-Ziel"-Fraktion. Letztere sind eher geneigt, Teile des Arbeitslebens mit den Forderungen nach Effizienz und zielgerichtetem Handeln auch in diese zweite Welt mit zu übernehmen.

Gruß, Walter

Ole Ostermann

Re: Der Wert

Beitrag von Ole Ostermann »


Hallo Walter,

ich denke das man diese beiden Fraktionen nicht so scharf trennen kann. Ich glaube jeder hier zieht seine Begeisterung auch daraus, dass schöne Dinge entstehen. Es wird sich ja keiner hinstellen und aus einem Brett Hobelspäne machen, nur weil das Hobeln so schön ist.(OK hab ich schon mal gemacht - die wurden aber als Tischdeko gebraucht...) Und andersrum geht wohl auch niemand in die Werkstatt, dem das Arbeiten mit Holz keine Freude bereitet. Diese Leute findest Du bei Ikea. Wie viel Effizienz und Zielstrebigkeit jeder von uns dabei anwendet ist, glaube ich bei jedem anders und auf jeden Fall eine Mischung aus Weg und Ziel. Das spiegelt sich auch in den obigen Berichten wider.

Gruß Ole

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