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In Antwort auf #103753]
Wenn man wie ich in der Qualitätskontrolle eine Pharmaunternehmes arbeitet und über jeden Handgriff Rechenschaft ablegen muß, irgendwelche Unregelmäßigkeiten seitenlang protokollieren muß, dann tut es unheimlich gut, sich abends in seine Werkstatt zurück zu ziehen und irgend etwas losgelöst vom Zwang der allgegenwärtigen Vorschriften zu arbeiten. Das ist für mich einfach ein Stück Lebensqualität, Dinge so herzustellen, wie ich sie mir vorstelle, ohne jemanden darüber Rechenschaft ablegen zu müssen, warum ich irgendetwas so und nicht anders gemacht habe. Daß dabei auch noch Gegenstände entstehen, die anderen Freude bereiten, und auch ob ihrer Qualität geschätzt und auch entsprechend behandelt werden, ist eine zusätzliche Befriedigung.
Sicher, der heute allgegenwärtigen "Geiz ist Geil"-Mentalität kann man sich manchmal nur schwer entziehen, aber gerade durch so ein Hobby lernt man Qualität und Langlebigkeit wieder zu schätzen. Nach rein kaufmännischen Gesichtspunkten ist der Selbstbau eines Tisches oder eines Schrankes sicher nicht zu rechtfertigen, aber wer sein ganzes Leben nur unter Rentabilitäts-Gesichtspunkten ausrichtet, hat in meinen Augen keine Lebensqualität. Einfach nur (kritiklos)konsumieren macht auf Dauer unzufrieden. Der heutige Zustand unserer Gesellschaft macht es doch überdeutlich. Heute nimmt sich doch kaum noch jemand die Zeit, einfach einmal innezuhalten und die Seele baumeln zu lassen. So etwas kann man ja heute nicht machen, ist ja sinnlos vertane Zeit. Dafür gibt es dann Wellness-Wochenenden, die aber auch von Anfang bis Ende verplant sind. Wo da das Wohlbefinden bleibt, kann ich nicht nachvollziehen.
Es mag manchem vielleicht komisch vorkommen, aber ein typisches Beispiel für diesen Zwang jede Minute auszunutzen ist der Friseur. Vor einigen Jahren ging man Samstag morgens einfach hin, setzte sich in den Laden, wartete bis man dran kam und ließ sich dann die Haare schneiden. Während der Wartezeit las man die Zeitung oder Illustrierte oder beteiligte sich an den oft lebhaften Diskussionen über Gott und die Welt. Nach dem Haarschnitt ging man dann zufrieden und entspannt aus dem Laden. Aus diesem Grunde ging ich auch zu einem alten Friseur, der mehr oder weniger einen Einheitshaarschnitt anbot, diesen aber handwerklich perfekt durchführte. Von Bekannten und Kollegen wurde ich damals oft wegen meines Haarschnittes aufgezogen. Aber wie sieht es heute aus? Dieser alte Friseur hat sein Geschäft mittlerweile aus Altersgründen aufgegeben, so daß´ich gezwungen war mir einen neuen Friseur zu suchen. Aber dort sieht es so aus, daß man sich erst einmal anmelden und sich einen Termin geben lassen muß. Spontan geht schon einmal gar nichts, da bei dem neuen Friseur Stühle für wartende Kunden nicht vorhanden sind. Wieso auch, denn jeder kommt ja zum angegebenen Termin und kann gleich auf dem Friseurstuhl Platz nehmen. Kommt man dann in den Laden, merkt man meistens gleich die schlechte Stimmung, weil der Zeitplan wieder durcheinander geraten ist und die Kunden maulen, weil sie zum angemeldeten Zeitpunkt eben doch nicht gleich nicht drankommen. Das hat für mich zur Folge, daß ich nur noch zum Friseur gehe wenn es wirklich nicht mehr anders geht, weil mir dieser Zwang einfach Unbehagen schafft.
Ähnlich ist es doch heute überall. Man hetzt nur noch von Termin zu Termin, geht etwas schief, fällt der ganze ausgefeilte Zeitplan wie ein Kartenhaus zusammen. Stress und Hektik sind die Folge. Wie glücklich sind doch solche Leute zu schätzen, die in der Lage sind, sich zumindest teilweise von diesen Zwängen frei zu machen und etwas weitab von irgendwelchen Produktivitätsnormen oder Zeitvorgaben zu tun, einfach weil sie es tun wollen. Und diese daraus resultierende Befriedigung ist mit Geld eigentlich nicht aufzuwiegen, so daß sich die Frage nach dem Wert unseres Tuns eigentlich gar nicht stellt. Da ich mich, zumindest von mir aus betrachtet, zu diesen Glücklichen zähle, bin ich eigentlich so reich, daß ich mir gutes Werkzeug und gute Materialien leisten kann, um daraus etwas dauerhaftes zu schaffen, jenseits des heute allgegenwärtigen Konsumzwanges.
Um noch einmal die Frage nach dem Wert unserer Arbeiten aufzugreifen. Rein kostenmäßig betrachtet ist unsere Vorgehensweise sicher ein Verlustgeschäft, aber rechnet man die durch die Arbeit entstehende Befriedigung und die daraus resultierende Lebensqualität dagegen auf, stellt sich die Frage nach dem Wert überhaupt nicht mehr, ganz einfach, weil das was wir tun unbezahlbar ist. Und noch eine Anmerkung zum Schluß: wer den Wert einer solchen Arbeit nicht zu schätzen weiß, der hat sie auch nicht verdient. Der Kenner weiß aber um den Wert einer solchen Arbeit. Er wird sie auch gebührend schätzen und auch daraus einen Zugewinn an Lebensqualität erfahren und er wird sich glücklich schätzen, etwas zu besitzen, das fernab von irgendwelchen Kosten- Nutzenrechnungen entstanden ist, einfach aus dem Bedürfnis heraus etwas dauerhaftes zu schaffen und anderen Freude zu bereiten. Und alle, die sich diesen Luxus leisten (können) sollten sich glücklich schätzen und ihr Hobby nicht unter irgendwelchen Rentabilitätsgesichtspunkten betrachten. Der aus einem solchen Hobby entstehende Gewinn an Lebensqualität und Zufriedenheit läßt sich mit Geld nämlich nicht aufwiegen.