Tischlerei-Museum Bremen
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Tischlerei-Museum Bremen
Hallo,
in meinem Urlaub war ich unter anderem auch in Bremen und hatte die Gelegenheit, das dortige Tischlermuseum zu besuchen:
http://www.Tischlerei-Museum-Bremen.de/
Dieses Museum ist in seiner Art einzigartig, weil es nicht Werkzeuge und Maschinen in einer künstlichen Umgebung zeigt, sondern in einer noch funktionierenden Werkstatt.
Der Betrieb wurde als Tischlerwerkstatt mit Dampfbetrieb von den zwei benachbarten Tischlern Seebach und Deckwitz im Jahre 1888 gegründet. Nach einer wechselvollen Geschichte (mehrere Besitzer, Umstellung auf Gas- und später Elektroantrieb, Kriegszerstörung) wurde die Werkstatt 1986 stillgelegt. Die vorhandenen Maschinen stammen zum großen Teil aus der Zeit der Gründung und den ersten Jahrzehnten danach. Ein Förderverein hat in Zusammenarbeit mit der Bremer Tischlerinnung alles liebevoll restauriert und zum Teil in einen früheren Zustand zurückversetzt. So kann zum Beispiel der Antrieb durch die Dampfmaschine und die Transmissionsanlage demonstriert werden.
Was mich am meisten fasziniert hat an dieser Werkstatt waren Informationen über die Zeit, in der sie gegründet wurde. Sie stammen aus dem Buch 'Gewerbefleiß' (ISBN 3-86108-601-8), das einen Artikel enthält über 'Frühe Sägemaschinen, Möbelfabriken und Dampftischlereien' in Bremen im 19. Jahrhundert. Bisher war ich der Meinung, daß zu dieser Zeit noch fleißig und froh von Hand gehobelt und gesägt wurde, und Maschinen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkamen. Jetzt lese ich, daß seit 1876, als auf der Weltausstellung in Philadelphia die Abrichte-Maschine vorgestellt wurde, der komplette Satz an Tischlereimaschinen verfügbar war.
Daß nicht schon damals alle Tischlereien auf Maschinenbetrieb umgestellt wurden, lag daran, daß sich die Anschaffung zunächst nur für größere Betriebe lohnte. Auch waren die Antriebsaggregate noch nicht ausgereift und unsicher in der Handhabung. Hinzu kommt noch, daß der Stil der damaligen Möbel noch nicht gut mit der maschinellen Herstellung zu vereinbaren war. Das erklärt auch, warum zuerst die Furniersägereien und Kistenmacher (Zigarrenkisten) Maschinen einsetzten.
Mir hat das wieder gezeigt, wie privilegiert wir doch sind, weil wir es uns leisten können, mit Handwerkzeugen zu arbeiten. Die Holzarbeiter im 19. Jahrhundert waren heilfroh, als sie endlich von stumpfsinniger Arbeit entlastet wurden. Dieselbe Ansicht war auch bei unserem Museumsführer herauszuhören. Er meinte, daß man solche Tätigkeiten wie das Aushobeln von Hand wohl mal kennenlernen sollte in seiner Ausbildung, aber dann schnell wieder vergessen. Für mich bedeutet das allerdings, daß ich den Schreiner nebenan nicht als Profi in 'meinem' Fach anerkennen kann. Er arbeitet und denkt völlig anders, auch wenn er zufällig mit demselben Material arbeitet wie ich.
Gruß, Wolfgang
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Re: Tischlerei-Museum Bremen
"Er arbeitet und denkt völlig anders, auch wenn er zufällig mit demselben Material arbeitet wie ich."
Das bringt exakt auf den Punkt, was mir auch immer wieder begegnet, wenn ich mich mit Schreinern unterhalte.
Man kann ins sinnieren kommen: Wennich mir Schreinergesellen mit der Mickymaus auf den Ohren am Bandschleifer so betrachte, stellt sich mir die Frage, ob sie nur von einem Stumpfsinn zum anderen erlöst worden sind.
Viele Grüße, Christof.
Re: Tischlerei-Museum Bremen
Es freut mich sehr, daß die Untersuchungsarbeit über die Einführung der maschinellen Holzbearbeitung in Bremen bei Wolgang Jordan so gut angekommen ist und informativ für ihn war. Zur Ergänzung möchte ich mitteilen, daß es mittlerweile von mir eine Untersuchung zu diesem Thema gibt, die sich auf ganz Deutschland und auf den internationalen Entwicklungsverlauf der Holzbearbeitungsmaschinen im 19. Jahrhundert bezieht und mit Bildmaterial dazu versehen ist. Diese Untersuchung ist als Buch "Maschinelle Holzbearbeitung ..." im Buchhandel zu haben und sie ist online zu lesen unter der URL: http://elib.tu-darmstadt.de/diss/000143/
Demnächst wird es vielleicht auch die Bremer Regionaluntersuchung online geben.
Mit besten Grüßen an alle Holzarbeiter
Peter Benje
Re: Tischlerei-Museum Bremen
Lieber Peter Benje,
es ist sicher sehr lieb, den gesamten Text im Internet zu haben. Aber es sind 300 Seiten, die lese ich doch lieber gedruckt. Leider spuckt die Seite buchhandel.de nichts aus, wenn man sie nach "Maschinelle Holzbearbeitung" suchen lässt. Wo genau findet man die Diss im Buchhandel?
Mit besten Grüßen
Bernd Wagener
Re: Tischlerei-Museum Bremen
Hallo Bernd,
ich habe eben versucht, den Titel bei Buchhandel.de aufzurufen. Er wird dort mit Auutor, also Peter Benje und mit Verlag, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, angezeigt. Auch beim deutschen Amazon ist der Titel zu bekommen, ebenfalls weisen abebooks.de und libri.de das Buch aus. Jeder Buchladen um die Ecke sollte ihn ebenfalls bestellen können. Weitere Nachweise, auch Bibliotheks-Nachweise des Titels, findest Du unter: http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html.
Bei weiteren Fragen, schreib mir.
Holzarbeitergrüße!
Peter Benje
Re: Tischlerei-Museum Bremen
[In Antwort auf #95857]
Hallo Holzfreunde,
ich lese seit einiger Zeit Eure Beiträge und kann viel theoretisches Wissen und Ideen darau gewinnen. Ich finde es auch wunderschön den lebenden Werkstoff Holz nur mit Handwerkszeugen zu bearbeiten. Aber ich glaube, man muß unterscheiden, ob ich das zu meinem Vergnügen mache, oder ob ich, sei es als Arbeitgeber oder als angestellter Geselle mein Brot damit verdiene und im harten Wettbewerb stehe. Nichts für Ungut!
Philipp
Hallo Holzfreunde,
ich lese seit einiger Zeit Eure Beiträge und kann viel theoretisches Wissen und Ideen darau gewinnen. Ich finde es auch wunderschön den lebenden Werkstoff Holz nur mit Handwerkszeugen zu bearbeiten. Aber ich glaube, man muß unterscheiden, ob ich das zu meinem Vergnügen mache, oder ob ich, sei es als Arbeitgeber oder als angestellter Geselle mein Brot damit verdiene und im harten Wettbewerb stehe. Nichts für Ungut!
Philipp
Historische Holzbearbeitung
[In Antwort auf #95853]
An alle historisch interessierten Holzarbeiter:
Die Studie "Frühe Sägemaschinen, Möbelfrabriken und Dampftischlereien un Bremen" über die Einführung der maschinellen Holzbearbeitung in Bremen im 19. Jahrhundert kann jetzt auch online gelesen werden. Wer möchte, kann die Untersuchung, die auch einiges Bildmaterial enthält, aufrufen unter der URL: http://elib.tu-darmstadt.de/docs/eprint_000015/
In der Studie wird u. a. auch die Geschichte der Dampftischlerei Seebach & Deckwitz nachgezeichnet; dieser Betrieb ist heute als Tischlereimuseum Bremen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ein Museumsbesuch lohnt sich!
An alle historisch interessierten Holzarbeiter:
Die Studie "Frühe Sägemaschinen, Möbelfrabriken und Dampftischlereien un Bremen" über die Einführung der maschinellen Holzbearbeitung in Bremen im 19. Jahrhundert kann jetzt auch online gelesen werden. Wer möchte, kann die Untersuchung, die auch einiges Bildmaterial enthält, aufrufen unter der URL: http://elib.tu-darmstadt.de/docs/eprint_000015/
In der Studie wird u. a. auch die Geschichte der Dampftischlerei Seebach & Deckwitz nachgezeichnet; dieser Betrieb ist heute als Tischlereimuseum Bremen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ein Museumsbesuch lohnt sich!
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Re: Historische Holzbearbeitung
Hallo Herr Benje,
danke für den Link. Ich habe es immer noch nicht geschafft, Ihre umfassende Dissertation zu diesem Thema zu lesen. Aber diese Bremer Studie kenne ich aus dem Band 'Gewerbefleiß' und freue mich, daß man sie jetzt auch online lesen kann.
Ist Ihnen bekannt, ob jemand in ähnlicher Weise über Handwerkzeuge forscht?
Gruß, Wolfgang
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Re: Historische Holzbearbeitung
Lieber Peter Benje,
auswahlweise habe ich ihre Disserstation gelesen, natürlich die Kapitel die im Zusammenhang dieses Forums besonders interessieren.
Erstaunlich ist für mich, trotz widriger Bremer Bedingungen, wie früh die Maschinisierung in Wahrheit eingesetzt hat. Zur selben Zeit als Handwerkszeug allerhöchster Qualität entwickelt wurde, um 1850-70, war die Maschinisierung bereits im Gange.
enn an die Bemerkungen der Kistenmacher über dsas Sägen liest, vergeht einem jeder Romantizismus (eine so schwere Arbeit, daß man sie kaum über dreißig ausführen kann.)
Viele Grüße, Ihr Christof Hartge.