MAKE A STOOL FROM THE SEA
- nach einer halbwegs wahren Begebenheit -
Teil 1, die Materialbeschaffung
Poul Mommsen liegt rücklings unter einem Kaventsmann weisser Daunen in seinem Bett. Das Gesicht halb überspült von der silbernen Gischt seines Bartes und der immer noch vollen Haare.
Ein feiner Sturm pfeift um sein Haus. Doch Mommsen hört ihn nicht; er träumt seinen Traum der Träume. Der Mann ist Strandvogt von tadellosem Ruf und Selbstverständnis in einem kleinen Ort an der dänischen Nordseeküste.
Es ist ganz früh am Neujahrsmorgen.
Schwarz setzen sich Heidekraut und hüfthohe Kiefern von den düster-grauen Dünen ab. Ich kann den Weg kaum sehen. Zügigen Schrittes gegen den Sturm aus West, direkt von vorn. Über den hohen, seeseitigen Dünenkamm fegt es mit tausend Nadelstichen pro Sekunde. Man wird Sandkörner in mir finden, denke ich. Jetzt am Strand. Lärmende Brandung in Luv zu meiner Linken. Die See rockt. Ich laufe eine ¾ Meile nach Norden, angestrengt jene Landmarke erwartend, die ich mir tags zuvor eingeprägt habe. Dort werde ich es finden.
Mommsen hat nun starke Schlagseite nach Steuerbord. Er schnarcht wie ein Walrossbulle. In seinem Traum ist das Küstenmotorschiff M/S AALBORG nach Ruderbruch von der Mannschaft aufgegeben worden und an seiner Küste gestrandet. Es ist an ihm, die aus einer großen Zahl Kisten bestehende Ladung zu bergen. Sie muss versteigert werden und ein Drittel des Erlöses wird ihm zustehen. So der Wille lang verstorbener Gesetzgeber. Doch macht er sich nichts aus Geld. Viel mehr reizt es ihn, die ein oder andere Kiste in seinen Besitz zu bringen. Nur wie soll er das bewerkstelligen, ohne sein Ansehen aufs Spiel zu setzen? Muss er doch über jede Kiste Buch führen und Rechenschaft ablegen.

Da ist es! Schon halb eingeweht. Ein Kantholz von vier mal vier Zoll, knapp sechs Fuß lang. Schnell ist es aufgeschultert und flugs bin ich auf dem Rückweg gen Süden. Wieder die ¾ Meile und dann noch ¼ landeinwärts. Silbergrüner Strandhafer verkündet einen farbigen Tag. Ich begegne niemandem.

Gestern morgen hatte ich weiter südlich folgenden Fund gemacht und nach Haus gebracht. Man hatte mich gesehen aber wahrscheinlich nicht erkannt.

Der Strandvogt ist durchgekentert und auf seinem stattlichen Bauch trockengefallen, die Bettdecke hat sich auf den Fußboden zurückgezogen. Zufrieden gibt er im Schlaf von Zeit zu Zeit Worte einer unbekannten Sprache von sich, bald raunend, bald kichernd. Er hat seine Männer angewiesen, die ungezählten Kisten von der M/S AALBORG in eine Scheune der Kommune zu bringen. Dort will er den Bestand dokumentieren. Es ist ein mühsamer Transport durch die Dünen. Doch keiner kennt die Wege dort so gut wie Mommsen.
Als ich im Ferienhaus ankomme, sind meine Spuren am Strand bereits verweht. Ich schüttele Sand aus meinen Ohren, dann blicke ich bei einem Becher Tee aus dem Fenster in den ersten Morgen eines neuen Jahres. Auf der Terrasse liegt meine Beute. Sobald die Sonne über die flachen Wipfel gestiegen ist, werde ich dort meine Freiluftwerkstatt eröffnen.
Ende Teil 1