3-Kirschen Stemmeisen abgesplittert

Hier werden Holzprojekte diskutiert, die vorwiegend mit Handwerkzeugen und nicht mit Maschinen realisiert werden. Hier ist auch ein Platz für traditionelle Oberflächenbehandlung von Holz. Ebenso geht es hier um klassische Handwerkzeuge zur Holzbearbeiteng, deren Bedeutung, Pflege und Gebrauch.
Ulrich Leimer
Beiträge: 473
Registriert: Fr 11. Jan 2019, 10:43

Re: Nee, nee, nee

Beitrag von Ulrich Leimer »


Hallo,

was mir so ein bischen Angst macht, ist die Tatsache, dass viele (ich will nicht schreiben alle) junge Leute (meine kleine To ist 17 und ich kenn deren Umfeld und Freundschaften) bis zu einer eventuell anstehenden Berufsausbildung, wenn sie nicht zu einem Studium ansetzen,
überhaupt keine handwerklichen Erfahrungen sammeln (können u wollen) und danach dann recht unbeholfen mit irgendwelchen Materialien hantieren.
Und ich hab eigentlich eine komplette Tischlerei im Keller, dort wäre fast alles möglich gewesen! Hatte mal ihrem Freund angeboten, zusammen was zu werkeln, damit er mal mit den Händen selbst was schaffen kann und dann diesen Erfolg, diese innere Befriedigung kennenlernt. Kein Interesse, Null.
Sicher hindert das nicht daran, dass diese Generation App irgendwann mal auch einen Beitelsatz erwirbt. Aber die sind schon überfordert, die mal geerbten Werkzeuge ihrer vernünftigen Verwendung zuzuordnen.
Hört sich traurig an, aber ich seh leider hier diese Entwicklung in großen Teilen auf uns zukommen....

Trotzdem allen noch frohe Feiertage
Gruß Uli

Andre Meisenbaum

Re: Nee, nee, nee

Beitrag von Andre Meisenbaum »


Zur Weihnachtszeit, darf man ja ein bisschen philosophisch :

Die Frage ist ja: Warum empfindet man erfolgreiche handwerkliche Eigenleistung als befriedigend?
Wohl generell, weil man das eigene Schaffen so sieht und auch, weil man mit dem geschaffenen bei anderen Anerkennung und Bewunderung erreicht. ( Meiner Meinung nach für sehr viele Menschen wichtiger als Punkt 1)
Wenn nun das "Schaffen" eben nicht mehr mit klassichen Werkzeugen und dem Material Holz sondern mit den Händen auf der Tastatur und ggf. einer Programmiersprache als Werkzeug entsteht, ist dass doch eher die Variation ein und der selben Motivation auf verschiedene Ebenen. Auf meiner Waage der Bedeutung erreichen beide den selben Wert.
Die Zeiten ändern sich und die Menschen ändern sich ebenso wie deren Interessen.
Also jede Generation pflegt seine Traditionen... keine ist besser oder schlechter.

Rüdiger
Beiträge: 124
Registriert: Mi 16. Jun 2021, 12:17

Re: Nee, nee, nee

Beitrag von Rüdiger »


Wenn nun das "Schaffen" eben nicht mehr mit klassichen Werkzeugen und dem Material Holz sondern mit den Händen auf der Tastatur und ggf. einer Programmiersprache als Werkzeug entsteht, ist dass doch eher die Variation ein und der selben Motivation auf verschiedene Ebenen. Auf meiner Waage der Bedeutung erreichen beide den selben Wert.


Ja, auch jemand, der programmiert, erschafft etwas, klar. (Da kann ich gar nicht dagegen argumentieren, denn damit verdiene ich mein Geld.)

Die Zeiten ändern sich und die Menschen ändern sich ebenso wie deren Interessen.
Also jede Generation pflegt seine Traditionen... keine ist besser oder schlechter.


Nein, aber anders. Ich denke, dass die Konkretheit des Materials verloren geht. Ein Ingenieur, der mit dem Material selbst nicht mehr arbeitet, verliert bestimmte Erfahrungen. Ob er die braucht? Hmm, keine Ahnung. Ich selbst bin ja auch jemand, der sich eigentlich erst eine Vorrichtung für Ungelernte (nämlich für mich selbst) konstruieren muss, um mit tollem Werkzeug nicht vieeel schlechter zu sein, als der erfahrene Handwerker, der mit einer (bleiben wir mal bei Elektrowerkzeugen) Aldi-Stichsäge frei Hand einen langen Schnitt durchführt. Da fehlt mir einfach auch die Erfahrung, die ich nicht so schnell sammeln kann.

Allerdings sehe ich Vergleichbares in der Programmierausbildung: Wer nur noch auf hohem Abstraktionslevel Module zusammenstellt, weiß u.U. nicht mehr, was er da wirklich tut. Das ist im Handwerk sicherlich nicht anders als in Programmierung. Andererseits: Wenn ich auf arbeitsaufwändige Handwerksmethoden "setze", wird es mir schwerfallen, zu "skalieren". Die heutigen industriell hergestellten "Plastik"boote segeln nicht schlechter, als in aufwändiger Handarbeit hergestellte Holzboote und sind dabei deutlich erschwinglicher. Mit CNC-Fräsen etc. und in Serienfertigung erstellte Gitarren haben heute ein Qualitätslevel erreicht, das vor wenigen Jahrzehnten unvorstellbar gewesen wäre. Und dennoch werden Meistergitarren immer noch mit viel Handwerksarbeit und Wissen erstellt. Und dieser Markt für gute Handwerksarbeit ist größer geworden, auch weil die Massenfertigung neue Märkte erschlossen hat, deren "Aufsteiger" dann schonmal in dem "Premiumsegment" kaufen. Und damit sind wir wieder beim zukünftigen Markt für Stechbeitel und anderes hochwertiges Handwerkszeug...

Georg
Beiträge: 1254
Registriert: Sa 28. Jul 2012, 21:16

Re: Nee, nee, nee

Beitrag von Georg »

[In Antwort auf #148881]
aber ich seh leider hier diese Entwicklung in großen Teilen auf uns zukommen.

Na ganz so schlimm sehe ich die Entwicklung doch nicht. So antwortete z.B. unsere Tochter auf die Frage nach einem Weihnachtsgeschenk, ein Akkuschrauber oder ein Leatherman.Als Grund gab sie an, dass wenn man einen eigenen Hausstand gründen möchte, nicht nur ein Grundbestand an Küchenutensilien, sondern auch ein Grundbestand an Werkzeug vorhanden sein muss.

Pedder
Beiträge: 5687
Registriert: So 8. Dez 2019, 14:41
Kontaktdaten:

Re: Nee, nee, nee

Beitrag von Pedder »


Oh je, uns sie denkt, ein Akkuschrauber gehört zu Grundausstattung? Es ist ja alles noch viel Schlimmer als gedacht....
:o)

Liebe Grüße
Pedder

Benutzeravatar
Thomas Kaes
Beiträge: 722
Registriert: So 4. Apr 2021, 14:10

Re: Nee, nee, nee

Beitrag von Thomas Kaes »


Pedder,

sie wird es auf die harte Tour lernen müssen:

Schwiegereltern am Kaffeetisch, Sahnemixer streikt, Akku leer ...

Das hilft vielen auf den rechten Weg zurück ;-)))

weihnachtliche Grüsse
Thomas


Andre Meisenbau

Re: Nee, nee, nee

Beitrag von Andre Meisenbau »

[In Antwort auf #148884]
"Premiumsegment" funktioniert dank Marketing immer - gibt es ja insbesondere in der Elektronikwelt schöne Beispiele.
Aber natürlich auch übertragbar über Elektromaschinen bis zum Handwerkzeug.

Ob früher alles besser wahr? Über den Verfall der Sitten haben schon die Römer geklagt ( o tempora o mores ).
Also ich möchte nicht z.B. in der Hochzeit der Ebonisten gelebt haben. 12h jeden Tag von Mo-Sa bei Herrn Roentgen in der Bude schuften.
Ich finde es gut, dass ein Teil der Menschen die handwerklichen Traditionen bewahrt aber auch,dass ein Teil der Menschen neue schafft.
Denn heute sind die guten alten Zeiten von morgen.

Und deswegen erstmal ein Lob & Dank an Forumsbetreiber und - beteiligte, weil ja hier beides möglich ist und letztlich ohne Bits & Bites die Welt des Holzwerkens deutlich schlechter kommunizieren könnte,

Uwe Behle
Beiträge: 266
Registriert: Fr 22. Sep 2017, 12:12
Kontaktdaten:

Re: Nee, nee, nee

Beitrag von Uwe Behle »

[In Antwort auf #148886]
Ja, ich sehe das allerdings auch mit gemischten Gefühlen. Der Wunsch ist da, aber die Umsetzung ist das Problem.
Auch meine Kinder (beide MINT-Bereich) wollen eine Grundausstattung an Werkzeug haben bzw. haben sie schon.
Dazu gehört heute übrigens auch Werkzeug zum Handy/Laptop-zerlegen (tx3,4,5 und Miniaturwerkzeuge...)

So richtig Erfahrungen mit dem Werkzeug sammeln und zu lernen wird für sie schwierig, denn beide wohnen nicht mehr zuhause und müssen alle Fehler selber machen - das frustriert doch sehr.
Ich konnte mir schon als 12-jähriger einen 3mm Bohrer in den Finger rammen und Erfahrungen sammeln, da steckt man sowas besser weg.
Immerhin hat mein Sohn den Unterschied zwischen PZ und PH Schraubendrehern schon so verinnerlicht, daß es ihn stört, wenn sein Kumpel das falsche Werkzeug benutzt und damit Schrauben zerstört.
Allerdings will meine Tochter lieber Schweißen lernen, als was mit Holz zu machen. Da sind also teilweise etwas weltfremde Vorstellungen vorhanden, wenn es um handwerkliche Fähigkeiten geht.


Heinz Kremers
Beiträge: 2764
Registriert: Mi 12. Aug 2015, 19:10

Re: Nee, nee, nee

Beitrag von Heinz Kremers »


Hallo Uwe,

und was ist weltfremd daran, wenn Deine Tochter Schweißen will statt mit Holz zu arbeiten? Sicher, sie erbt ggf. eine Holzwerkstatt, mit der sie dann wenig anfangen kann und die beim Schweißen schnell mal in Flammen aufgehen kann. Wichtig ist doch, sich überhaupt mit etwas Handwerklichem zu beschäftigen.

Gruß
Heinz

Uwe Behle
Beiträge: 266
Registriert: Fr 22. Sep 2017, 12:12
Kontaktdaten:

Re: Nee, nee, nee

Beitrag von Uwe Behle »


Fängt man nicht erst mal mit einfachen Sachen an? Bohren, sägen, feilen etc.
Schweißen muß man im Alltag übrigens auch eher selten.
Das sind eben Ideen, die sich fast nicht umsetzen lassen. Ein WIG-Ausrüstung zahlt man nicht aus der Portokasse.

Antworten