Die Frage eines fünfjährigen „Schlitzohres“

Hier werden Holzprojekte diskutiert, die vorwiegend mit Handwerkzeugen und nicht mit Maschinen realisiert werden. Hier ist auch ein Platz für traditionelle Oberflächenbehandlung von Holz. Ebenso geht es hier um klassische Handwerkzeuge zur Holzbearbeiteng, deren Bedeutung, Pflege und Gebrauch.
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Bernd
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Die Frage eines fünfjährigen „Schlitzohres“

Beitrag von Bernd »


Immer dann wenn ihn die Gespräche der Erwachsenen nicht sonderlich interessieren oder es ihm einfach nur langweilig ist, kommt er mit seinen gefürchteten Fragen. Heute hat er mich eiskalt erwischt. Onkel Bernd hast du bei deinem Werkzeug auch Schraubendreher ? Ich sage „Du meinst Schraubenzieher“ ? Er lacht sich halb tot und erwidert „Neiiiin Schraubendreher, Schrauben werden doch gedreht und nicht gezieht“ ! „Ja, ja, die habe ich sage ich“ Er wieder „Und warum sagst du es dann falsch“ ? Ich habe ihm versprochen es ihm am nächsten Sonntag zu erklären. Nun bitte ich Euch mir zu helfen. Woher kommt der falsche Begriff „Schraubenzieher ? Irgendwie muß ich dem kleinen „Einstein“ doch Parole bieten können. Mit der Erklärung, daß der richtige Begriff „Schraubendreher“ ist, dieser sich aber gegen den umgangssprachlichen Begriff „Schraubenzieher“ nie richtig durchgesetzt hat, werde ich ihn nicht „abspeisen“ können. Ich befürchte, daß der kleine Schlaumeier mit 11 Jahren sein Studium im Maschinenbau absolviert hat und seinen Onkel als blöd erklären läßt.

Es grüßt Euch
Bernd

Friedrich Kollenrott
Beiträge: 3208
Registriert: Fr 19. Mär 2021, 17:09

Re: Die Frage eines fünfjährigen „Schlitzohres“

Beitrag von Friedrich Kollenrott »


Hallo Bernd,

das ist wirklich eine hübsche Frage. Ich als nicht mehr ganz junger Maschinenbauingenieur und Dozent habe oft auch Differenzen dieser Art mit meinen Studenten. Die haben die (richtigeren!) neuen Bezeichnungen verinnerlicht und amüsieren sich, wenn ich mit der "Schieblehre" komme (heißt korrekt und ganz logisch Meßschieber).
Zum Schrauben"zieher" mein (persönlicher, nicht abgesicherter) Erklärungsversuch: Die Schraube war früher mal ein ganz neumodisches Maschinenelement. Sie hat den Keil abgelöst (und ist ja eigentlich ein aufgewickelter Keil). Keile (und auch Stifte) werden mit dem Hammer eingeschlagen. Zur Demontage (dem "Ziehen") braucht man ein spezielles Werkzeug. Ob es einen Keilzieher gab, weiss ich nicht, einen Stiftzieher gibt es heute noch. Diese Bezeichnung hat man auf das Werkzeug, das man zum Demontieren der Schraube braucht, übertragen: Das Herausschrauben der Schraube war auch ein "Ziehen", das Werkzeug ein Schrauben"zieher".

Du solltest den Jungen dafür loben, dass er es richtig weiss.

Friedrich


Dietrich
Beiträge: 4730
Registriert: Mo 27. Okt 2014, 22:01

Re: Die Frage eines fünfjährigen „Schlitzohres“

Beitrag von Dietrich »


Hallo Bernd, hallo Friedrich,

das Werkzeug "Schraubenzieher" gab es bei uns in der Lehre am Tisch der Werkzeugausgabe!

Das ist ein Schraubendreher, dessen Klinge der Länge nach gespalten ist. Außerdem gibt es zusätzlich zum normalen Griff, einen losen Griff, der sich auf der Klinge verschieben lässt. Ist der lose Griff oben, stehen die beiden Klingenteile etwas versetzt zueinander. Schiebt man den Griff nach unten werden die Klingenteile übereinander geschoben, sieht dann fast wie ein normaler Schraubendreher aus. Aber die Spitze der Klinge wird durchs verschieben des Griffs dicker, setzt man die Klinge in eine Schlitzschraube, schiebt den Griff nach unten, bis es nicht mehr geht, kann man die Schraube, mit der im Schraubenschlitz verkeilten Klinge, hochheben!

Deshalb, und weil die Klinge recht lang ist, heißt das Ding "Schraubenzieher".

Gruß Dietrich


Hutmacher Beat
Beiträge: 425
Registriert: Mo 21. Apr 2014, 18:40

Re: "Festhalte-Schraubenzieher"

Beitrag von Hutmacher Beat »


Guten Tag Allerseits,

Darf ich die Information von Dietrich wie folgt ergänzen :

Der genannte "Schraubenzieher", ist unter anderem bei PB Baumann, Swiss Quality Tools, unter der No. 158/bis in verschiedenen Grössen erhältlich.

Ein überaus praktisches Werkzeug, ich benutze es auch gerne dort, wo die Platzverhältnisse sehr eng sind, um eine Schraube einzusetzen. Also die umgekehrte Arbeitsweise. Das Werkzeug kann mit einer Hand sehr gut bedient werden. Allerdings darf beim einschrauben nicht zuviel Druck gemacht werden, weil sich sonst die zwei Klingenteile, verdrehen könnten. Nach dem einsetzen also einen normalen "Schraubenzieher", zum festziehen benützen.

Entsprechend gibt's unter der No. 155, 156 + 157 die gleiche Idee, diesmal aber mit zwei Federn, die über die Klinge hinaus, über den Schraubenkopf greifen, und diesen so festhalten, für Schlitz-, Torx und Phillips-Schraubenköpfe. Auch wieder in verschiedenen Grössen.

Mit besten Grüssen aus der Schweiz,
Beat

Ole Ostermann

Re: "Festhalte-Schraubenzieher"

Beitrag von Ole Ostermann »


Hallo!

Im Maschinenbau spricht man ja auch davon eine Schraube mit einem bestimmten Drehmoment anzuziehen. Z.B. an einer Ratsche oder einem Maulschlüssel muss man ja sogar ziehen oder drücken um die Schraube zu lösen oder "anzuziehen". Wie sich das auf Schraubendreher übertragen hat weiss ich nicht. Könnte mir aber denken das es daher kommt.

Gruß Ole

Georg
Beiträge: 1254
Registriert: Sa 28. Jul 2012, 21:16

Re: Die Frage eines fünfjährigen „Schlitzohres“

Beitrag von Georg »

[In Antwort auf #103318]
Wäre doch eigentlich die logische Erklärung. Das Ding heißt Schraubenzieher, weil man damit Schrauben "anzieht".

Bernd
Beiträge: 94
Registriert: Sa 28. Jul 2012, 21:16
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Re: Die Frage eines fünfjährigen „Schlitzohres“

Beitrag von Bernd »

[In Antwort auf #103315]
Hallo Friedrich !

Vielen Dank für die ausführliche Hilfestellung. Ich denke wenn ich es ihm etwas vereinfache (Schraube als aufgewickelter Keil) wird er der Erklärung folgen und es verstehen können. Jedenfalls sind dank Deiner Hilfe meine Erfolgsaussichten sein „Lieblingsonkel“ zu bleiben enorm gestiegen .
Gruß
Bernd

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