Der "ziehende Schnitt" - eine geometrische Analyse
Verfasst: Mo 9. Mär 2020, 19:08
Moin,
eigentlich ist das ganze ja nicht soo schwierig, wenn man sich einfach mal nur die zugrunde liegende Mechanik anschaut. Problematisch wird es nur dadurch, daß der "ziehende Schnitt" nirgends sauber definiert wird, und dadurch Spekulationen Tür und Tor geöffnet werden.
Ich persönlich verbinde mit dem Begriff immer eine schneidende Bewegung einer Schneide, also eine Bewegung parallel zur Schneidenkante,
mikroskopisch sicherlich auch irgenwie sägend. Ganz im Gegensatz zu einem Keil, der einfach nur ins Holz gedrückt wird, oder wenn
das Hobeleisen zu weit rausschaut und ins Holz hackt bei einer "normalen" geraden Führung des Hobels.
Ein Handhobel ist ein Werkzeug, das sich in einer Ebene bewegt, diese wird durch die Hobelsohle definiert.
Ob sich der Hobel nun auf der Seite liegend in einer Stoßlade befindet oder aber handgeführt auf einem Brett, ändert daran nichts.
Wenn wir uns nun einfach mal auf sinnvolle geradlinige Bewegungen beschränken, dann reduzieren wir auf wundersame Weise alle möglichen Freiheitsgrade in diesem System. Es gibt nun genau zwei Möglichkeiten, wie sich das Hobeleisen relativ zum Holz bewegen kann.
a) Die Bewegungsrichtung des Hobeleisens ist genau senkrecht zur Schneidenkante. Die einzige Variable, die man in dieser Situation
letzlich noch sinnvoll verändern kann, ist der Spanwinkel.
Siehe http://woodworking.de/cgi-bin/forum/webbbs_config.pl/md/read/id/56828/sbj/hobeleisen/
Das ist definitiv kein ziehender Schnitt, da dürften sich alle einig sein.
b) In jeder anderen (sinnvollen) Bewegungsrichtung ist das Hobeleisen immer schräg gestellt. Eine qualitativ andere Möglichkeit gibt es nicht.
Damit muss das also der gesuchte "ziehende Schnitt" sein, denn es gibt ja keine dritte Möglichkeit, das Hobeleisen relativ zu seiner Bewegung zu orientieren.
Was passiert denn genau, wenn sich das Hobeleisen schräg stellt?
Es sind zwei Effekte, die dabei auftreten:
1) Der effektive Spanwinkel wird vergrößert, und zwar umso stärker, je schräger man das Hobeleisen relativ zu seiner Bewegung hält.
Siehe (ab ca. 3:10) https://www.youtube.com/watch?v=TDKiKfNjgkQ
Das erleichtert also schonmal das Hobeln, keine Frage.
Trotz effektiver Vergrößerung des Spanwinkels bleibt die Schneide dabei stabil, ein angenehmer Nebeneffekt.
2) Bei der Bewegung des Hobeleisens kann man zwei Bewegungsanteile unterscheiden, Stichwort "Vektoranalyse". Einen Teil der Bewegung kennen wir schon, das ist der Anteil der Bewegung, der senkrecht zur Schneidenkante verläuft. Aber es gibt nun immer auch eine zweite Komponente, die eben parallel zur Schneidenkante verläuft. Das ist diese oben erwähnte "schneidende" (oder mikroskopisch sägende) Bewegung. Das ist genau die Bewegung, die jeder vom Schnitzen kennt und die den Unterschied zwischen dem Schneiden an sich und dem Drücken eines Schnitzmessers ins Holz ausmacht.
Was sagt uns das?
Nun, immer dann, wenn sich die Schneidenkante schräg zu ihrer Bewegungsrichtung befindet, haben wir den "ziehenden" Schnitt, automatisch. Mal mehr, mal weniger, aber qualitativ gibt es da keine Unterschiede.
Quantitativ kann man natürlich sehr viel mehr Situationen unterscheiden, je nachdem mit welchem Winkel man das Hobeleisen führt.
Bei der Stoßlade gelten diese Überlegungen natürlich uneingeschränkt. Es gibt eine rein geradlinige Bewegung. Insbesondere bewegt sich die Schneide des Hobels in einer Ebene. Es gibt auch hier nur zwei Möglichkeiten. Rein stossend ohne Verdrehung der Schneide, oder mit Verdrehung und dann automatisch dem "ziehenden Schnitt". Es hängt nun nur davon ab, wie stark man das Hobeleisen gegen die Bewegungsrichtung verdreht.
Gruß
Carsten