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OT: Artikel über die Schreiner von Svenskt Tenn
Verfasst: Mo 27. Jul 2009, 12:44
von Urs
Hallo an alle
Wenn schon mal ein Artikel über das Handwerk in der normalen Presse erscheint, mag das den einen oder andern hier auch interessieren. Der Autor dürfte kein Holzwerker sein (und so kann man ihm den "hundertsten Teil eines Millimeters" bei der Kontrolle der Winkligkeit nachsehen), trifft aber in vielem unser Thema sehr stimmig.
http://dasmagazin.ch/index.php/von-hand/Aus unerklärlichen Gründen fehlen beim elektronischen Artikel die Literaturhinweise. Da sie aber interessant sind, hole ich sie hier nach:
Richard Sennett, «Handwerk», Berlin-Verlag 2008
Die englische Ausgabe erschien nach der deutschsprachigen
bei Penguin Books im Jahr 2009
Matthew B. Crawford, «Shop Class as Soulcraft: An Inquiry Into the Value of Work», Penguin, New York
Josef Frank, «Accidentism», Birkhäuser-Verlag, Basel 2005
Christopher Long, «Josef Frank. Life and Work», Chicago University Press 2001
Viel Spass beim Lesen!
Gruss
Urs
Re: OT: Artikel über die Schreiner von Svenskt Ten
Verfasst: Mo 27. Jul 2009, 23:42
von Joachim Schmidt
Hallo Urs,
es ist erfreulich, eine solch schwärmerische Reportage über den handwerklichen Möbelbau zu lesen. Wirklich mit Begeisterung geschrieben. Allerdings ... mit dem Handwerk alter Zeiten hat das nichts zu tun. Ein derart minutiöses Arbeiten mit einem solchem Aufwand ist erst nach der industriellen Revolution mit den billigen Massenartikeln (IKEA et al.) möglich, da sich die Kunden nun einzelne Stücke solcher Qualität leisten können und anderes eben billiger kaufen.
Das Eine bedingt hier wohl auch das Andere.
Ich glaube dass, wer die Möglichkeit hat unter solchen Bedingungen zu arbeiten, ein erfülltes Leben hat und auch ganz hervorragende Qualtität zu leisten vermag. Es wäre eine wünschenswerte Entwicklung, wenn das weithin Schule machen würde....
Als Amateurhandwerker verfolgt man ja in der Regel genau diesen Ansatz, aber ohne kommerzielle Zwänge. Leider mit viel zu wenig Zeit für diese Leidenschaft.
Allerdings kann ich dem in dem Artikel postulierten Anspruch des Handwerkers auf absolute Perfektion nichts abgewinnen. Ich kann auch nicht glauben, dass diese Handwerker so arbeiten. Die würden nie fertig. Journalisten sind halt keine Handwerker.
Hier hilft vielleicht in Blick in die Vergangenheit, zu der Zeit, als das Handwerk die vorherrschende Produktionsweise war:
Die Handwerker haben immer so gearbeitet, dass das Produkt "gut genug" war. Die Bandbreite dieses "gut genug" konnte allerdings riesig sein. Man sehe sich z.B. mal die nicht sichtbaren Flächen an alten Möbeln, auch Prunkmöbel, an. Schubladenseiten, Rückseiten von Rückwänden etc. sind meistens nicht sauber verputzt. Das hätte erheblichen Aufwand bedeutet und das Produkt in den Augen des Handwerkers nicht verbessert. Wenn man in den Museen sich die Möbel mit reichen Marqueteriearbeiten ansieht, wird man entdecken, dass jede Menge Füllmasse ungenau geschnittene Fugen zwischen den Furnierteilen verkitten muss. Die Schlauerern unter den Handwerkern haben den Entwurf gleich so angelegt, dass es so aussieht, als müsse das so sein. Auch hier, bei den meubles pour le roi, hat man mit dem Aufwand Maß gehalten. Insbesondere, weil auf der Gegenseite mit der Bezahlung auch Maß und Zeit gehalten wurde.
Auf einem Gebiet, in dem ich mich auskenne, ist dieser Effekt besonders deutlich wahrzunehmen, dem Musikinstrumentenbau. Hier ist natürlich der Klang das bestimmende Qualitätskriterium, jedoch musste damals ein Musikinstrument auch das Auge erfreuen. Natürlich ist eine solide Konstruktion vonnöten, da Musikinstrumente hohen Belastungen des Saitenzuges, der Feuchtigkeit, der Mechanik beim Spiel etc. ausgesetzt sind. Wie sah denn die Wirklichkeit damals aus?
Hier will ich die Dynastie der Ruckers aus Antwerpen als Beispiel für das "gut genug" anführen.
Die Ruckers bauten Cembali Mitte des 16. bis Mitte des 17. Jahrhunderts und begründeten die flämische Cembalobauweise. Durchaus vergleichbar im Ansehen mit Stradivarius im Geigenbau. Die Instrumente der Ruckers hatten noch 100 Jahre später in Frankreich eine solche Reputation, dass ein altes Ruckers-Instrument oder ein Neubau mit der Verwendung von Ruckers-Teilen mehr als das doppelte Wert war, als ein neues Instrument des damals berühmtesten Meisters, Taskin. Kein Wunder, dass es jede Menge Fälschungen gab.
Wie waren diese Instrumente damals gebaut? Ziemlich schlampig. Eine schnelle, aber durchdachte Bauweise, die alles Wesentliche richtig machte. Innen aber hat man sich keine Mühe gemacht. Verstrebungen innen im Korpus hatten sehr oft noch Rindenkanten, die Unterseite des Resonanzbodens war nur geschruppt usw. Da die Instrumente bemalt wurden, sind jede Menge Hölznägel unverdeckt eingeschlagen worden. Allerdings nochmals: Alles Wesentliche war richtig gemacht worden und der Klang war ohne jeden Tadel. Die Instrumente waren teils über 200 Jahre im Gebrauch. Also auch konstruktiv konnte man nichts aussetzen.
Um das Selbstverständnis dieser Handwerker zu verstehen eine kleine Einzelheit:
Ruckers-Instrumente hatten an den Untertasten, dort wo die Obertasten anfangen, zwei oder drei querliegende Einschnitte, die vom Bass bis zum Diskant durchgingen. Oder fast. In der untersten Baßtaste findet man bei Ruckers-Instrumenten einen Einschnitt weniger. Ein Fehler, so offensichtlich und so einfach behebbar, dass Leute von solcher Kompetenz wie die Ruckers so etwas eigentlich nicht hätten abliefern dürfen und vor allem nicht bei fast allen Instrumenten. Die Forschung hat dafür nur eine Erklärung:
Es sollte heißen: Nur Gott ist perfekt und deshalb dieser Fehler.
Offensichtlich war das Instrument "gut genug". Die Ruckers sind bestimmt nicht mit vor Müdigkeit geröteten Augen an der Werkbank gestanden, weil sie eine Perfektion gesucht haben, die zu umfassend gewesen wäre.
Dieser lange Beitrag sollte meine These stützen, dass die Genauigkeit, die durch die industrielle Produktion möglich ist, das Handwerk in seiner Einstellung beeinflusst. Und wenn es nur die Entwicklung einer Formensprache ist, die mit Maschinen nicht herstellbar ist. Allerdings wird sich keiner mehr trauen, Schubladenseiten und Rückwände einfach gesägt zu belassen.
Das sollte jetzt keine Kritik an dem Artikel sein, sondern nur der Hinweis, dass diese Form des Handwerks keine Fortsetzung alter Traditionen ist, sondern ein genuin modernes Konzept handwerklicher Arbeit darstellt.
Wer's bis hierher ausgehalten hat, sei bedankt für die Geduld.
Grüße
Joachim
Re: OT: Artikel über die Schreiner von Svenskt Ten
Verfasst: Fr 31. Jul 2009, 09:53
von derWalter.com
Grüße Joachim,
ich kann deinen Text durchaus nachvollziehen und verstehen.
Ich bin im Prinzip der selben Meinung. Allerdings wird das
Handwerk, unter Umständen, gerade nur durch so eine Elitenbildung
in seiner Gesamtheit (bzw. gesamten Möglichkeiten) überleben können.
Ich bin froh darüber dass es Menschen gibt die diesem Bestreben
folgen. Von der krankhaften Seite einmal abgesehen.
Mit workoholics spaßt man nicht!
Herzliche Grüße aus Wien,
Walter.
Re: OT: Artikel über die Schreiner von Svenskt Ten
Verfasst: So 2. Aug 2009, 19:56
von Bert Wallraff
Grüße an die Handwerkergemeinde,
ich bin selbstständiger Schreinermeister, mein Name ist Bert Wallraff und melde mich zum ersten Mal hier im Forum, was ich schon länger als Leser nutze. Ich bin der gleichen Meinung wie Joachim und ich glaube nicht, daß das auf die Spitze treiben der Genauigkeit, der Überlebensweg des Handwerks ist. Im Gegenteil bin ich der Meinung, daß es mir dadurch schwerer gemacht wird. Denn wir "normalen Schreiner" haben ja schon immer mit dem Vorurteil zu kämpfen zu teuer zu sein. Ein zweiter mir wichtigen Punkt, der mir bei der Lektüre des Artikels auf gefallen ist, ist der Umgang mit gewachsenen Rohstoffen. Mir ist Holz an sich zu kostbar, auch wenn es sich nur um einem Schubkasten handelt. In meiner täglichen Arbeit lege ich sehr großen Wert, wie mein schwedischer Kollege, auf die Holzauswahl und vermeide diese unsägliche Leimholzherstellung ( die hier leider sehr oft zusehen ist), wo schöne Holzmaserung klein geschnitten wird, um hinterher wieder ohne Bild verleimt wird. Ich finde da ist ein guter Handwerker zu erkennen und nicht ob ein Schubkasten 1mm größer ist als ein anderer. In einem Buch von Toshio Odate habe ich gelesen, daß die hochgelobten japanischen Kollegen Schubkästen nur nageln, da es sich hier um ein zweitrangiges Bauteil handelt.
Re: OT: Artikel über die Schreiner von Svenskt Ten
Verfasst: Mo 3. Aug 2009, 09:45
von Walter Heil
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In Antwort auf #125001]
Hallo Urs,
ich habe diesen Artikel mit einigem Vergnügen gelesen. Abgesehen von Meinungen, die man durchaus teilen kann, ist das ein Traktat eines Werbefritzen, der eine Firma (und damit deren Produkte) anpreist, dass einem die Tränen kommen. Bei einigen vielleicht Tränen der Rührung, bei mir eher Tränen vom lachen. Wenn ich dann noch von der Pingeligkeit des Meisters bzgl. Werkzeug lese und gleichzeitig die gammelige Oberfläche der Hobelbank auf einem der Bilder sehe, dann weiß ich Bescheid.
Gruß, Walter
Puh!
Verfasst: Mo 3. Aug 2009, 10:00
von Philipp
Walter bringt es auf den Punkt. Zwischen Text und Bildern besteht ein gewisses Mißverhältnis.
Aber mal ehrlich, ganz abseits von Geschmacksfragen: wer möchte sich diese Möbel in seine Wohnung stellen, womöglich noch in Kombination mit den popelgrünen Tapeten aus dem einen Bild? Für mich, der sein Leben nicht im Drogenrausch verbringt, stellen Entwürfe, die jemand in seinen "LSD-Träumen" erschwadroniert hat, schon mehr als eine anspruchsvolle Herausforderung dar...
Auch Zitaten wie "der schwedischen Schreinerkultur, nach der dänischen und vor der japanischen die älteste und hochstehendste der Welt" stehe ich mehr als skeptisch gegenüber.
Wenn diese Superhandwerker Sägefurnier ("westfälische Furniermanufaktur, die Anders entdeckt hat. «Dort sägen sie das Furnier noch. Sie schneiden nicht, das ist total kompliziert, es gibt aber auch eine irre Oberfläche.»") nicht kennen, dann sind sie vielleicht doch nicht so dolle in ihrem Fach.
Doll finde ich auch die hundertstel mm bei einer Schublade, die sich angeblich später nicht mehr reibungslos bewegen lassen wird. Vielleicht sollte der Meister Anders seine reibungsfreien Schubladen in Magnetfeldern aufhängen, wenn er so hohe Ansprüche an die Reibungsfreiheit hat.
Bei aller Sympathie irgendwie merkwürdig.
Philipp
Re: Puh!
Verfasst: Mo 3. Aug 2009, 10:55
von Jürgen zur Horst
Hallo alle miteinander,
die Dame hat ein altes Unternehmen übernommen und sich genau angeschaut, was sie sich da angelacht hat. Weil sie etwas von Marketing versteht, hat sie nach Alleinstellungsmerkmalen gesucht und diese überhöht und herausgestellt. Mit einer Umstrukturierung wäre es ein Unternehmen wie alle anderen geworden. So steht das Unternehmen auf einer anderen Ebene und entzieht sich der Vergleichbarkeit. Dann sucht man im Unternehmen Geschichten und Gesichter, die man zeigen und erzählen kann. Wir alle kaufen oftmals das Produkt mit der Geschichte. Siehe Manufactum-Katalog.
Ob das Unternehmen gut ist weiß ich nicht, die Form der Möbel ist Geschmacksache. Das Marketing ist auf jeden Fall gut. Wenn es dann bei dem einen oder anderen Leser und Kunden, das Verständnis für das Tischlerhandwerk weckt, kann das nur im Interesse aller Tischler sein.
Tschüß Jürgen
Herzlich Willkommen
Verfasst: Mo 3. Aug 2009, 22:50
von Pedder
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In Antwort auf #125026]
Hallo Walter, Hallo Bert,
herzlich Willkomen unter den aktiven Nutzern dieser Seite. Schön, dass sich auch Profis melden.
Ob in dem Artikel das VALDEMARSVIK südlich von Norrköping gemeint ist? Da könnte ich in 12 Tagen vorbei sehen. Die Werkstatt würde mich schon reizen. Und auch die Bilder der Möbel gefallen mir. Das ganze erinnert mich an Luxusautomobile: vielleicht nichts zum selberfahren, aber Bilder sehe ich mir gern an.
Liebe Grüße
Pedder