Oberfräse: Zu dumm um es zu verstehen?

Das ganze Thema rund um die Holzbearbeitung wird hier diskutiert. Die Grenzen sind hier deutlich weiter gezogen als im Handwerkzeugforum. Wenn Du nicht sicher bist, wo Dein Beitrag hingehört, ist er wahrscheinlich hier am besten aufgehoben.
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Rolf Richard
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Oberfräse: Zu dumm um es zu verstehen?

Beitrag von Rolf Richard »


Vielleicht bin ich ja nur zu dumm um den Sachverhalt zu verstehen, vielleicht verstehe ich ihn doch?

Da findet sich in einem Standardwerk zu diesem Maschinentyp die folgende Aussage:

"Der Parallelanschlag wird von vielen Holzwerkern leider nur sehr selten eingesetzt. Dabei können Sie selbst mit einfachen Modellen aus Blech schon sehr präzise Ergebnisse erzielen,...... Wenn Sie dann noch auf die richtige Führungsrichtung achten (....), dann ist der Parallelanschlag die schnellste Art, eine gerade verlaufende Holzkante mal eben mit einem Falz zu versehen. Und wenn die Nut nicht allzu weit von der Kante entfernt verlaufen soll, ist der Parallelanschlag auch dafür bestens geeignet."


Damit gehe ich konform, nicht wissend, ob der Parallelanschlag wirklich selten verwendet wird. Ein Problem habe ich aber mit einer Aussage, die sich 7 Seiten dahinter findet. Es geht um das Führen mit Richtscheit bzw. Führungsschiene:

"Aufgrund dieser "Zwangsführung" (gemeint ist durch eine Führungsschiene) sind Fehler beim Fräsen fast völlig ausgeschlossen. Ganz im Gegensatz zu einer einfachen Holzleiste, die als Führungskante benutzt wird. Hier ist die Gefahr extrem hoch, dass die Fräse aus der "Spur" läuft und von der Holzkante "wegdriftet". Das passiert vor allem dann, wenn Sie die Oberfräse in der falschen Richtung an der Leiste vorbei führen. Aus diesem Grund sind Holzleisten als Führung nicht zu empfehlen."


Ja was denn jetzt?

Die geometrischen Führungsgegebenheiten sind bei Parallelanschlag und Führungsleiste nach meinem technischen Verständnis völlig identisch, abgesehen davon dass die Führungsleiste auf Höhe der Fräsengrundplatte, der Parallelanschlag aber eine Ebene darunter führt. In beiden Fällen kann - wird? - die Fräse verlaufen, wenn man sie falsch herum führt, in beiden Fällen wird sie aber auch sicher vor einem Abdriften bewahrt, wenn die richtige Fräsrichtung eingehalten wird. Die Maschine zieht sich beim Gegenlauffräsen ja stets nach links. Also ist die Holzleiste absolut gleichwertig zum Parallelanschlag.

Warum kommt da der Verdacht auf, dass dem geneigten Leser eine - oft überteuerte(?) - Führungsschiene aufgeschwätzt werden soll?

Vielleicht deshalb, weil im gleichen Werk weiter hinten ein Praxistip im Zusammenhang mit Frästischen und Einlegeringen ebenfalls Unausgereiftes verkündet:

"Die meisten Oberfräsen bieten die Möglichkeit die Kopierhülsen mit zwei Maschinenschrauben zu befestigen. Anstelle der Hülsen können dort auch die Einlegeringe sicher befestigt werden.


Die Abbildung zeigt eine Dewalt-Fräse und einen selbst angefertigten Einlegering. Es ist leicht zu erkennen, dieser wird niemals an die gezeigte Fräse passen. Werden Bücher heutzutage nicht mehr redigiert, bevor man sie unters Volk bringt?

Sowas ärgert mich!
Rolf


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Thomas Kaes
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Re: Oberfräse: Zu dumm um es zu verstehen?

Beitrag von Thomas Kaes »


Tag Richard, ich gehe mal auf den Unterschied Parallelanschlag - Führungsleiste - Schiene ein:

- beim Fräsen mittels Parallelanschlag an der Kante des Werkstücks
kann der Fräser nach aussen, aber nicht tiefer ins Material,
wie durch dem Parallelanschlag vorgegeben.

- beim Fräsen mit dem Parallelanschlag oder einer einfachen Führungsleiste
auf der Fläche ist die Fräse seitlich nur in eine Richtung geführt,
beim versehendlichen Gleichlauffräsen oder z.B. einem Ast wird die
Nut niemals gerade.

- beim Fräsen mittels Führungsschiene auf der Fläche des Werkstücks
kann der Fräser durch die seitliche Führung der Schiene auch nicht
ausweichen.

Ich glaube nicht, das man gewisse Fähigkeiten nur durch das
Studium von Büchern / YouTube Videos korrekt erlernen kann.
Beide Informationsmöglichkeiten stellen meistens nur einen Weg dar.
Der muss ja nicht immer der Beste, Sicherste oder Korrekte sein.
Aber man bekommt oft Ideen und Anregungen, die
man mit dem eigenen Wissen oder hinterfragen ergänzen kann.

Gruss
Thomas



Rolf Richard
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Re: Oberfräse: Zu dumm um es zu verstehen?

Beitrag von Rolf Richard »


Danke Thomas für die Antwort!

Der Autor schlägt aber explizit den Parallelanschlag auch zum Fräsen von Nuten auf der Fläche vor - "bestens geeignet" - und dann hat man keine andere Situation als mit einem Richtscheit.

Gruss
Rolf

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Thomas Kaes
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Re: Oberfräse: Zu dumm um es zu verstehen?

Beitrag von Thomas Kaes »


Tag Richard,

bei der Führung der Oberfräse auf der Fläche mit dem Parallelanschlag
bedarf es eigendlich nur eines Gegenstücks am anderen freien Ende der Führungsstangen.

Kann man sich recht problemlos auch selbst bauen, reicht bei vielen Werkstücken aus
und ist präzise.
Größere Stangenlänge ist als Rundstahlwelle auch problemlos beschaffbar.

Heiko Rech hat so ein Teil mal beschrieben:
http://heiko-rech.de/vorrichtungen/fraesen.php?seite=3

Gruss
Thomas


Guido Henn
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Re: Oberfräse: Zu dumm um es zu verstehen?

Beitrag von Guido Henn »

[In Antwort auf #82774]
Lieber Rolf,

es tut mir wirklich leid, dass ich dich mit meinem Buch geärgert habe, das war ganz sicher nicht meine Absicht.

Ich möchte daher gerne versuchen etwas Licht ins Dunkel zu bringen und beginne mal mit dem letzten Einwand von dir:

Zitat Rolf: „Die Abbildung zeigt eine Dewalt-Fräse und einen selbst angefertigten Einlegering. Es ist leicht zu erkennen, dieser wird niemals an die gezeigte Fräse passen.“

Der Einlegering soll nicht in der Aussparung der Grundplatte sitzen (wie der Kopierring), sondern direkt auf der Grundplatte aufliegen. Er hat die gleiche Dicke, wie die Restdicke der Frästischplatte dort wo die Fräse angeschraubt wird.

Nun zum Parallelanschlag:

Ich mache nun seit 25 Jahren Kurse zur Oberfräse und glaube die Schwierigkeiten, die ein Anfänger mit der Oberfräse hat schon recht gut einschätzen zu können.

Beim Original Parallelanschlag sind es oft die viel zu kurzen Führungsbacken, die für Frust und Fehlfräsungen führen und daher auch der Grund sind, warum viele/wenige (such dir was aus) den Parallelanschlag nur noch selten oder gar nicht mehr einsetzen. Und genau diesen wichtigen Hinweis (den du leider im Zitat mit …. ausgeblendet hast) gebe ich und verpasse dem Parallelanschlag erst mal ein paar ordentlich lange Führungsflächen. Damit kann man jetzt mit dem (ebenfalls von dir mit ….. ausgeblendeten) Hinweis auf die richtige Führungsrichtung ordentlich, falzen, nuten und profilieren.

Aber wenn ich dich richtig verstanden habe, stimmst du mir hier ja auch zu ;-)

Nun zur Führungsschiene:

Eines vorweg: Es macht auf meinem Bankkonto keinen Unterschied aus, ob jetzt viele oder wenige Führungsschienen verkauft werden, da ich weder Führungschienen verkaufe noch irgendwelche Aktien an einer Führungsschienenfabrik besitze.

Aber auch hier weiß ich aus 25 Jahren Kurserfahrung, wie schnell man mit der Maschine am Richtscheit entlang aus der Spur laufen kann. Selbst wenn man die Maschine in die richtige Richtung an der Leiste entlang führt, ist die gerade Kante an der ansonsten runden Grundplatte der Fräse viel zu kurz für eine ausreichende Führungsfläche. Und genau da liegt auch der Unterschied zu einem modifizierten Parallelanschlag mit langen Führungsleisten. Deshalb ist es auch noch lange nicht das Gleiche!!!

Aber lieber Rolf ich hindere dich ja nicht daran es trotzdem auf diese Art zu machen, wenn du damit Erfolg hast.

Ich frage mich nur, warum fast alle Hersteller Führungsschienensysteme im Sortiment haben, wenn die doch zu teuer sind und eigentlich unnütz?

Apropos teuer: Auch für die „teuren“ Führungsschinen habe ich auf Seite 84 eine günstige Selbstbaulösung mit Kopierhülse vorgestellt, die genau wie die Führungsschienen auf einer Zwangsführung basiert.

Und hier lieber Rolf liegt auch der große Vorteil gegenüber einem einfachen Richtscheit oder einer Leiste - die Zwangsführung verzeiht Anwenderfehler und ruiniert nicht gleich ein teures Werkstück.

Ich hoffe ich konnte deine Fragen einigermaßen beantworten und dein Ärger hat sich ein wenig gelegt.

In diesem Sinnen schöne Grüße

Guido


Horst Entenmann
Beiträge: 1156
Registriert: So 30. Mär 2014, 20:58

Re: Oberfräse: Zu dumm um es zu verstehen?

Beitrag von Horst Entenmann »


Hallo Guido,

Vielen Dank für deine erhellenden Worte, ich war auch ein bißchen am rätseln wie das jetzt gemeint war.

Die bei (ich sag mal günstigen) Oberfräsen beiliegenden Parallelanschläge sind allerdings wirklich oft ein Ärgernis.
Ich habe noch eine kleine Oberfräse aus alten Zeiten (die ich nur noch für ganz bestimmte Aufgaben verwende). Der Parallelanschlag aus stabilem Blech wäre an und für sich gar nicht schlecht, hatte aber in der Mitte zwischen den beiden kurzen Gleitschuhen aus Kunststoff eine riesengroße Lücke.
Wenn ich nun einen Falz (oder eine Nut) über die ganze Länge eines Brettes fräsen wollte, dann ging das so ohne weiteres gar nicht, denn ganz am Anfang und ganz am Ende musste ich dann ohne Führung arbeiten, das Ende des Brettes kam dann in die Lücke und mit einem der kurzen Gleitschuhe alleine war keine Führung mehr da. Zuerst habe ich das auch mit einer Führungsleiste gelöst, aber das hatte auch Nachteile. Mal war die Führungsleiste krumm oder bog sich beim Fräsen durch oder die Schraubzwinge löste sich aufgrund der Vibrationen oder ich kam mit der Schraubzwinge gar nicht vernünftig hin oder war die Schraubzwinge selber im Weg...
Besser war die Kunststoffteile zu entfernen und eine längere Holzleiste mit einer viel kleineren Lücke an den Parallelanschlag zu schrauben.

Gruß Horst

Guido Henn
Beiträge: 768
Registriert: Do 7. Dez 2017, 18:02

Re: Oberfräse: Zu dumm um es zu verstehen?

Beitrag von Guido Henn »


Hallo Horst,

freut mich, dass ich hier etwas helfen konnte.

Aber man findet genau diese Infos zum Parallelanschlag auch auf 6 Seiten und 30 Fotos im Buch. Die Infos zur Führungsschiene machen ebenfalls noch mal 6 Seiten und zahlreiche Fotos aus.

Werden dann Satzbruchstücke aus dem Zusammenhang gerissen, ist es natürlich schwer einem komplexen Thema zu folgen.

Schöne Grüße

Guido


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