Make a stool from the sea Teil1 *MIT BILD*

Hier werden Holzprojekte diskutiert, die vorwiegend mit Handwerkzeugen und nicht mit Maschinen realisiert werden. Hier ist auch ein Platz für traditionelle Oberflächenbehandlung von Holz. Ebenso geht es hier um klassische Handwerkzeuge zur Holzbearbeiteng, deren Bedeutung, Pflege und Gebrauch.
Johann Daniel
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Registriert: Di 19. Feb 2013, 19:58

Make a stool from the sea Teil1 *MIT BILD*

Beitrag von Johann Daniel »


MAKE A STOOL FROM THE SEA

- nach einer halbwegs wahren Begebenheit -

Teil 1, die Materialbeschaffung

Poul Mommsen liegt rücklings unter einem Kaventsmann weisser Daunen in seinem Bett. Das Gesicht halb überspült von der silbernen Gischt seines Bartes und der immer noch vollen Haare.
Ein feiner Sturm pfeift um sein Haus. Doch Mommsen hört ihn nicht; er träumt seinen Traum der Träume. Der Mann ist Strandvogt von tadellosem Ruf und Selbstverständnis in einem kleinen Ort an der dänischen Nordseeküste.
Es ist ganz früh am Neujahrsmorgen.

Schwarz setzen sich Heidekraut und hüfthohe Kiefern von den düster-grauen Dünen ab. Ich kann den Weg kaum sehen. Zügigen Schrittes gegen den Sturm aus West, direkt von vorn. Über den hohen, seeseitigen Dünenkamm fegt es mit tausend Nadelstichen pro Sekunde. Man wird Sandkörner in mir finden, denke ich. Jetzt am Strand. Lärmende Brandung in Luv zu meiner Linken. Die See rockt. Ich laufe eine ¾ Meile nach Norden, angestrengt jene Landmarke erwartend, die ich mir tags zuvor eingeprägt habe. Dort werde ich es finden.

Mommsen hat nun starke Schlagseite nach Steuerbord. Er schnarcht wie ein Walrossbulle. In seinem Traum ist das Küstenmotorschiff M/S „AALBORG“ nach Ruderbruch von der Mannschaft aufgegeben worden und an seiner Küste gestrandet. Es ist an ihm, die aus einer großen Zahl Kisten bestehende Ladung zu bergen. Sie muss versteigert werden und ein Drittel des Erlöses wird ihm zustehen. So der Wille lang verstorbener Gesetzgeber. Doch macht er sich nichts aus Geld. Viel mehr reizt es ihn, die ein oder andere Kiste in seinen Besitz zu bringen. Nur wie soll er das bewerkstelligen, ohne sein Ansehen aufs Spiel zu setzen? Muss er doch über jede Kiste Buch führen und Rechenschaft ablegen.



Da ist es! Schon halb eingeweht. Ein Kantholz von vier mal vier Zoll, knapp sechs Fuß lang. Schnell ist es aufgeschultert und flugs bin ich auf dem Rückweg gen Süden. Wieder die ¾ Meile und dann noch ¼ landeinwärts. Silbergrüner Strandhafer verkündet einen farbigen Tag. Ich begegne niemandem.



Gestern morgen hatte ich weiter südlich folgenden Fund gemacht und nach Haus gebracht. Man hatte mich gesehen aber wahrscheinlich nicht erkannt.



Der Strandvogt ist durchgekentert und auf seinem stattlichen Bauch trockengefallen, die Bettdecke hat sich auf den Fußboden zurückgezogen. Zufrieden gibt er im Schlaf von Zeit zu Zeit Worte einer unbekannten Sprache von sich, bald raunend, bald kichernd. Er hat seine Männer angewiesen, die ungezählten Kisten von der M/S “AALBORG“ in eine Scheune der Kommune zu bringen. Dort will er den Bestand dokumentieren. Es ist ein mühsamer Transport durch die Dünen. Doch keiner kennt die Wege dort so gut wie Mommsen.

Als ich im Ferienhaus ankomme, sind meine Spuren am Strand bereits verweht. Ich schüttele Sand aus meinen Ohren, dann blicke ich bei einem Becher Tee aus dem Fenster in den ersten Morgen eines neuen Jahres. Auf der Terrasse liegt meine Beute. Sobald die Sonne über die flachen Wipfel gestiegen ist, werde ich dort meine Freiluftwerkstatt eröffnen.

Ende Teil 1

Johann Daniel
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Make a stool from the sea Teil 2 *MIT BILD*

Beitrag von Johann Daniel »


MAKE A STOOL FROM THE SEA

Teil 2, der Baubericht

Ein Dänemark-Urlaub eignet sich bestens, um meine angeborene Leidenschaft fürs Strandräubern mit dem Holzwerken zu verbinden. Deshalb begleiten mich in einer Kiste folgende Gegenstände:

zwei Gestellsägen, deren unbezahnte Blattkanten sich auch gut als Lineal eignen
zwei Lochbeitel und drei Stecheisen verschiedener Breite
ein Holzhammer
ein gewöhnliches Beil
zwei Schinder, je einer gerad- und rundsohlig
ein Ziehmesser
ein Takelmesser
ein kleines Schnitzmesser
ein Löffelschnitzmesser
eine Ziehklinge
ein Gratzieher
zwei kleine Schraubzwingen
je ein Winkel, Zollstock, Bleistift und eine Schmiege
ein paar Schleifsteine
und ein Tütchen blaue Kalk-Kasein-Farbe in Pulverform
zwei Tütchen Blattgelatine als Leim
ein altes Smartphone für die rustikalen Bilder

Auf Bankhobel und Bohrer habe ich bewusst verzichtet, um alternative Bearbeitungsarten und Verbindungsvarianten zu trainieren.

Ich wusste ja vorher nicht, welches Material die See hergibt aber nachts ein Feuer auf den Dünen zu machen, um die Auswahl zu vergrößern, schien mir doch übertrieben. Bereits vor der Reise hatte ich die Vorstellung, dass es ein einfaches Sitzmöbel werden sollte. Und so entwickelt sich aus den gefundenen Kanthölzern und der ein oder anderen Idee ein Hocker.
Das Treibholz bürste ich zunächst trocken ab und schruppe es anschliessend mit Frischwasser um möglichst viel Sand und Salz loszuwerden. Der Geruch der Hölzer ist speziell, wenn man es wohlwollend ausdrücken will.
Als Werkbank dient ein leicht schäbiges Schuhregal, das draussen, wie dafür gemacht, auf der Terrasse steht. Ich beginne mit den Brettern für die Sitzfläche. Zwei Stück säge ich aus einem Stück Kantholz.



Das verbleibende Reststück behaue ich mit dem Beil auf nahe Endmaß.



Das Holz ist astige Tanne/Fichte und pitschnass. Ich nenne das ganze Blauholzwerken. (In Anlehnung ans Grünholzwerken mit frisch geschlagenem Holz.)
Im nächsten Arbeitsschritt versuche ich die Oberflächen mit dem geradsohligen Schinder so eben wie nötig und so glatt wie möglich zu bekommen. Das gelingt besser als gedacht.



Weiter geht's mit zwei Lagerhölzern durch die die drei Brettchen verbunden werden sollen. Sie werden ebenfalls teils gesägt, teils behauen und dann mit dem Schinder geglättet.
Der Hocker braucht Beine. Ich beginne mit dem vierten, welches ich mit dem Beil aus einem Stück Kiefer heraus arbeite. Dabei haue ich trotz vorheriger Kontrolle auf eine versteckte Spaxschraube. Es dauert ein halbe Stunde, die Scharte auszuwetzen.

Anschliessend spalte ich die ersten drei Beine aus dem großen Kantholz (Tanne/Fichte), das ich in drei gleich lange Teile gesägt habe. Mehr ist da nicht heraus zu holen. Teils sind die Fasern gequetscht, teils gibt es starke Risse. Nach getaner Arbeit trinke ich ein Tuborg Grøn, mindestens.

Jetzt ist der Urlaub vorbei und ich packe alles ins Auto. Die zweite Hälfte der Arbeiten erledige ich zu Hause. Auch dort finden keine anderen als die im Urlaub vorhandenen Werkzeuge Verwendung. Nur habe ich keine Schuhbank und wähle als pragmatischen Ersatz meine Hobelbank.
Mit dem Ziehmesser und dem Schinder bringe ich die Beine in Form, dann bekommen sie oben einen schräg abgesetzten Zapfen, der in die Querhölzer gesteckt, verleimt und verkeilt werden soll. Die Zapfenlöcher sind eckig, weil ich ja ohne Bohrer arbeite.



Ende Teil 2

Johann Daniel
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Make a stool from the sea Teil 3 *MIT BILD*

Beitrag von Johann Daniel »


MAKE A STOOL FROM THE SEA

Teil 3, die Fortsetzung und das Finish

Je zwei Beine werden mit einer diagonalen Strebe verbunden, die mit abgesetzten Zapfen in den Beinen verleimt und verkeilt werden sollen. Die schmalen Schlitze stemme ich mit einem Lochbeitel. Anschliessend mache ich die viereckigen Beine achteckig.



Nun beginnt das Abenteuer Gelatineverleimung: Ich breche die Gelatineblätter in kleine Stücke und weiche sie in einem Glas mit Wasser über Nacht ein. Im ersten von drei Leimvorgängen werden je zwei Beine mit einer Diagonalstrebe verleimt. Dazu erwärme ich die Gelatine im Wasserbad und die Holzteile mit dem Heissluftfön. In Dänemark hätte das der Holzofen erledigt. Dann pinsele ich den Leim in die Zapfenlöcher und auf die mit je zwei Sägeschnitten für die Keile versehenen Zapfen, stecke alles zusammen und verkeile die Teile. Am nächsten Tag ist alles trocken und fest. Toll! Nächste Leimung: Beine in Querhölzer. Wieder Gelatine und Hölzer warm machen, zusammenstecken, verkeilen und trocknen lassen. Sieht gut aus!



Mit der Gestellsäge und einem Stecheisen nehme ich die überstehenden Keile und Zapfen weg. Dann male ich das Gestell mit zwei Schichten blauer Milkpaint (federal blue). Einen Zwischenschliff mache ich mit einer Hand voll Schinderspäne, die so scharf sind, dass ich mir damit in den Finger schneide.
Dann ist es Zeit, die Sitzfläche aufzunageln. In jedes der drei Bretter hatte ich mit einem schmalen Stecheisen je vier kleine, quadratische Löcher gestemmt, deren Lage dann in einem Probezusammenbau auf die Querhölzer übertragen und diese ebenfalls gelocht. Das geht richtig schlecht, weil man die Späne nicht aus dem Loch bekommt. Sie werden vom Stecheisen tief im Holz verdichtet. Selbstgemachtes Leid, ich weiss.
Aus Restholz mache ich jetzt zwölf Holznägel und dann verbindet Verleimung No.3 das Gestell und das zukünftige Polager. TäTää!



Zu früh trompetet. Der Leim hält nicht. Meine Fehleranalyse kommt sehr schnell zu dem Schluss, dass ich die Gelatine überhitzt habe. Der Leimrest im Glas ist auch nicht fest geworden. Ich nehme die Bretter nochmal ab und klopfe die Nägel wieder heraus.
So, und jetzt folgt die einzige, logische und offensichtliche Konsequenz für einen Hocker aus Treibholz: Fischleim.
Der ist bei Zimmertemperatur flüssig und damit funktioniert's. Nach dem Trocknen entferne ich mit einem Stecheisen alle Nagelüberstände, bringe mit dem Schinder die Sitzfläche als ganzes in Form und male alles ausser der Sitzflächenbretter ein weiteres Mal blau. Jetzt bringe ich die Beine auf die richtige Länge, reibe den ganzen Hocker nochmal mit Spänen ab und trage mit einem Lappen eine erste, dünne Schicht Tonkinlack auf. Die lasse ich gut trocknen. Es folgt eine Abreibung mit Spänen sowie eine zweite Lage und Trocknung. Dann nochmals Spänepolitur und eine letzte Schicht. Zum Abschluss poliere ich einmal mit einem Lappen.
Der Hocker hat sich sehr zu meiner Zufriedenheit entwickelt und man kann sogar darauf sitzen.

*

Zwei Tage nach Neujahr war ich in den Dünen vom Weg abgekommen. Abseits der Pfade fand ich, gut versteckt, ein dutzend Kisten Akvavit. Ein Flasche habe ich stiebitzt.

Skål, Poul Mommsen! Jeg fortryder intet…



So long,
Johann Daniel

Ende der Geschichte.


Sebastian51
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Registriert: Fr 20. Jul 2018, 09:22

Re: Make a stool from the sea Teil 3

Beitrag von Sebastian51 »


Guten Morgen,

eine schöne Geschichte als Einstieg in die Woche. Ich habe mich gefreut.

Der Hocker ist hübsch. Ich finde es eine schöne Idee Dinge aus Holzresten bauen.

Viele Grüße

Sebastian

Johann Daniel
Beiträge: 88
Registriert: Di 19. Feb 2013, 19:58

Re: Make a stool from the sea Teil 3

Beitrag von Johann Daniel »


Hallo Sebastian!

Schön, dass Dir der Hocker gefällt. Es war auch eine Freude, ihn zu bauen.

Sonnige Grüße,
Johann Daniel

Stefan Hintzen
Beiträge: 357
Registriert: Sa 28. Jul 2012, 21:17

Re: Make a stool from the sea Teil 3

Beitrag von Stefan Hintzen »


Der Hocker gefällt mir auch ganz gut. Ich bin mir sicher, daß der geklaute / gefundene Schnaps besser geschmeckt hat als alles bisher dagewesene.....ist wie mit den Äpfeln und Kirschen

Pedder
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Re: Make a stool from the sea Teil 3

Beitrag von Pedder »

[In Antwort auf #150995]
Halo Johann, vielen lieben Dank für diese tolle Geschichte - und auch die Bilder vom Stuhl. Das hat mir virl Spaß gemacht.

Liebe GRüße
Pedder

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Volker Hennemann
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Registriert: Fr 25. Sep 2015, 23:02
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Re: Make a stool from the sea Teil 3

Beitrag von Volker Hennemann »

[In Antwort auf #150995]
Hallo Johann,
sehr schöne Geschichte und ein toller Stuhl.
Herzliche Grüße
Volker

Martin Graf
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Registriert: Mo 15. Feb 2021, 20:33

Re: Make a stool from the sea Teil 3

Beitrag von Martin Graf »

[In Antwort auf #150995]
Hallo Johann,

vielen Dank für diesen äußerst gelungenen Beitrag! Eine sehr ansprechende Mischung aus schriftstellerischem und Holzwerkertalent, die Du uns da bietest. Erinnert mich ein wenig an das kürzlich von mir gelesene Buch "Die Birken wissen's noch" von Lars Mytting: sehr ähnliche Stimmung und Örtlichkeit und ein Roman mit gelegentlichem Bezug zum Holzwerken...mir hat's gefallen.
Auch ich nehme immer öfters eine kleine Auswahl Werkzeug in den Urlaub und versuche mich dann an einfacheren Projekten. Das kann wirklich sehr entspannend sein, und wenn dann noch so ein tolles Ergebnis, wie bei Dir, dabei herauskommt, dann kann man nur gratulieren.

Gruß,
Martin

Johannes F
Beiträge: 172
Registriert: Di 26. Sep 2017, 22:18

Re: Make a stool from the sea Teil 3

Beitrag von Johannes F »

[In Antwort auf #150995]
Hallo Daniel,

das hat einfach Spaß gemacht. Ich finde es vor allem interessant, wenige Werkzeuge zu benutzen.

Viele Grüße

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