Nachtschränkchen mit hingenommener Ungenauigkeit *MIT BILD*

Hier werden Holzprojekte diskutiert, die vorwiegend mit Handwerkzeugen und nicht mit Maschinen realisiert werden. Hier ist auch ein Platz für traditionelle Oberflächenbehandlung von Holz. Ebenso geht es hier um klassische Handwerkzeuge zur Holzbearbeiteng, deren Bedeutung, Pflege und Gebrauch.
MarkusB
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Registriert: Mo 15. Mär 2021, 07:21

Nachtschränkchen mit hingenommener Ungenauigkeit *MIT BILD*

Beitrag von MarkusB »


Hallo zusammen,

ein Projekt ist fertig geworden, mit dem ich im November 2017 angefangen bin.
Es ist ein Nachtschränkchen für meinen Sohn, das nahezu komplett stromlos hergestellt wurde.
Ausnahme: die Riegel für die Deckplatte habe ich mit der Kreissäge gesägt und maschinell zugerichtet.

Der Rest ist aber absolut stromlos erfolgt, auch alle Bohrlöcher.

Das ganze Projekt stand unter dem Motto: „Die hingenommene Ungenauigkeit“
Was meine ich damit?
Es ging mir darum, bei allem Willen, genau zu arbeiten, Ungenauigkeiten hinzunehmen, wo ich meinte, das wäre in Ordnung. So sind z.B. die Stollen nicht alle gleich stark. Auch die Rahmen (die Friese) sind nicht alle gleich breit und sogar innerhalb eines Rahmen nicht gleich stark. Die Füllungsbretter sind unterschiedlich stark. Die Stollen haben nicht an jeder Stelle genau 90°.
Warum machte ich das?
Zum einen hängen meine Ergebnisse leider immer noch von der Tagesform ab. Wenn ich müde bin, werde ich ungenau. Zum anderen wollte ich auch Zeit sparen. Der letzte Rest Genauigkeit benötigt bei mir genauso viel Zeit, wie die ganze Arbeit davor, ganz extrem ist das bei den rechtwinkligen Kanten der Stollen.
Zum anderen wollte ich aber auch wissen, ob diese unglaubliche Genauigkeit, die man mit Maschinen hinkriegt, wirklich notwendig ist. Der Tischler von vor 100 Jahren hatte diese Maschinen nicht, hat aber trotzdem schöne Möbel gebaut.
Ich habe deshalb auch zum ersten Mal komplett ohne Zeichnung gearbeitet.
Ich habe die Plattemaße und die Höhe meines vorhandenen Nachtschränkchens als Vorlage genommen, das war’s.

Hier nun ein paar Bilder, der dazugehörige Text steht immer darüber.

Bild 1
Damit fing es an, eine Buchenbohle


Bild 2 bis 4
Als erstes die Stollen





Bild 5 bis 7
Die Bretter habe ich bei Friedrich Kollenrott mit seiner Rahmensäge gesägt und teilweise dort auch schon abgerichtet.




Bild 22
Den Rahmen habe ich im Frühjahr, als es noch kalt war gemacht. Im Sommer ist das Holz geschrumpft und hat auf der Vorderseite einen unschönen Schlitz hinterlassen.


Bild 24
Meine Lösung, wenn die Bankhaken nicht nah genug am Rand sind, weil das Werkstück sehr schmal ist.
Hier hatte von der Regel "erst die Verbindung, dann das Profil" gehört.


Bild 24 + 25
Bilder vom Herstellen der Platte habe ich nicht, nur vom Zuschnitt.
Ich liebe diese Sägen. Geht schnurgerade. Den Winkel habe ich direkt nach dem sägen drangehalten.



Bild 26
Die Halteklötzchen so, wie sie Herr Spannagel vorschreibt.


Bild 27 + 28
Die Bodenplatte habe ich auf den Querstollen der Vorderseite gelegt. Die Kontur habe ich mit 3 Pappen (für jede Seite eine) abgenommen. Wahrscheinlich macht man die Platte etwas tiefer und legt sie in die Querfriese, aber ich wollte sie als Anschlag für die Tür haben.



Bild 29
Es fehlte noch das Holz für die Schublade.
Erstmal eine Fläche geschruppt, um zu sehen, wo ich die Säge ansetzen muss.


bild 30 bis 34
Ich war zwischenzeitlich schon wieder bei Friedrich Kollenrott, wo wir eine Rahmensäge gebaut haben. Blattlänge ca. 1 mm. Bohle ca. 41 cm stark.
Das ganze ist grenzwertig. Die Säge könnte für 41 cm ruhig noch länger sein. Leider verläuft sie ein bisschen. Friedrichs tat das nicht…
Deshalb musste ich nach dem besäumen (hätte ich auch vorher machen können) noch mit dem Schrupphobel ran. Ich liebe diesen Hobel. Leider habe ich (noch) keinen Schlichthobel.
Die Rauhbank tat den Rest. Bei diesem Brett benötigte ich mal nicht die Flachwinkelrauhbank.






Bild 35 + 36
Fingerzinken, davor hatte ich echt Angst, den die habe ich das letzte mal vor 3 Jahren oder so gemacht. Nützt aber nix.
Friedrich hat mir mal einen kleinen Helfer geschenkt. Der ist wirklich super, da man damit wegen der Längsbohrungen auch den verdeckten Bleistift sieht. Liegt wunderbar schwer in der Hand, absolut präzise.
Ich habe erst die Zinken gesägt, diese dann übertragen, und dann die Schwalben.
Eigentlich genau so, wie es Franz Klausz in einem Video zeigt.
Ich habe aber vorher 2 Probestücke gemacht, um zu sehen, war wichtig ist, also welche Kanten z.B. sichtbar sind. Das war eine gute Idee, da mir dabei einiges klar wurde. Wichtige Hinweise habe ich mir auf die Teststücke geschrieben, die stehen jetzt auf meinem Werkzeugschrank zur Anschauung.
Ich habe immer den Bleistift stehen gelassen. Bei den Randzinken war ich etwas großzügiger. Ich habe nur wenig mit dem Beitel ausgebessert. Die Zinken gingen nur mit roher Gewalt rein. Die Kiste bleibt unverleimt. Ich finde, die Verbindungen sehen gut aus. Kleine Fehler sind aber da, sind aber wirklich sehr klein.



Bild 37
Falz des Schubladenbodens wird gehobelt nicht gesägt ;-)


MarkusB
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Re: Nachtschränkchen mit hingenommener Ungenauigke *MIT BILD*

Beitrag von MarkusB »


hallo,

leider wurde mir mein Bericht zerschossen. War wohl zuviel...
Also habe ich das abgeschickt, was noch da war.

Ich zeige euch hier jetzt nur noch das Ergebnis







Alles geölt mit Leinölfirnis.
Die Maserung kommt echt heftig durch. Mir gefällt’s

Die Tür hat Zapfenbänder. Das war auch so ein Drama.
Die lassen sich nämlich nicht nachjustieren. Wenn die Schraube nicht genau sitzt, dann ist die Tür schief.
Eine ziemliche Fummelei.

Fazit:
Ungenau ist nicht immer schlimm, aber man sollte immer sauber arbeiten.
Ist mir leider nicht überall geglückt, konnte ich aber gut nachbessern.
Man sieht dem Schränkchen die Ungenauigkeiten nicht an. Alles wirkt harmonisch.

Viele Grüße

Markus

Christoph Schmitz
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Registriert: Sa 28. Jul 2012, 21:16
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Re: Nachtschränkchen mit hingenommener Ungenauigke

Beitrag von Christoph Schmitz »


Hallo,

sehr schön, wie "ungenau" sieht das bestimmt nicht aus!

PS. Was ist denn das für ein Fuchsschwanz? Ist das so eine neue Spear & Jackson, vielleicht mit nachgearbeitetem Griff?

Viele Grüße
Christoph

Tom B.
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Re: Nachtschränkchen mit hingenommener Ungenauigke

Beitrag von Tom B. »

[In Antwort auf #150185]
Hallo Markus,

ich zolle Dir meinen allerhöchsten Respekt! Das hat mich schwer beeindruckt, wie Du das Projekt durchgezogen hast. Vorgenommen habe ich es mir schon unzählige male, durchgehalten bisher selten/nie, alles mit Handwerkzeug zu machen. Meist reicht mir einfach die Geduld nicht. Toll. Es zeigt, dass auch der Weg zum Ziel schon erfüllend sein kann. Die handwerkliche Umsetzung mit all den "klassischen" Details finde ich schön. Macht "man" heute leider viel zu wenig. Übrigens stören "die Ungenauigkeiten" auf den Bildern in keinster Weise - wer geht schon mit Zollstock & Winkel an ein Möbel?

Einzig die Proportionen gefallen - meinem - Auge nicht ganz. Mir ist die Schublade zu breit und die Tür zu niedrig. Aber - das ist Geschmacksache.

Ich würde mich über weitere Projekte von Dir freuen.

Herzliche Grüße

Tom

Meikel Brandmeyer
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Re: Nachtschränkchen mit hingenommener Ungenauigke

Beitrag von Meikel Brandmeyer »

[In Antwort auf #150185]
"Perfection isn't a thing." -- Richard Maguire

Hier beschreibt er in mehr Details, warum Perfektion für Handwerkzeuge eher kontraproduktiv ist. (Leider in englisch...) https://www.theenglishwoodworker.com/gappy-joints-speed-strength/

Zusammenfassung:

Leichte Mängel bei der Akkuratesse sind nicht nur schneller und einfacher zu erreichen, sondern bisweilen auch hilfreich. Er nennt als Beispiel die Rückseiten von Zapfenverbindungen. Die sägt er mit Absicht weiter als geplant. Damit erzeugt er zwar eine Lücke, die aber niemand sieht. Der Vorteil davon ist, dass eine perfekte, lückenlose Vorderseite damit viel einfacher zu erreichen ist. Ähnlich kann man sich fragen: Müssen die Innenseiten eines Schubladenschranks perfekt abgerichtet und verputzt sein? Oder reicht da auch geschlichtet? (Oder gar sägerauh?) Wichtig sind im Endeffekt nur die Referenzflächen und was Kundenkontakt. Gute, handwerkliche Arbeit muss also keineswegs "perfekt" sein, um perfekt zu sein.

Dein Schränkchen ist ein gutes Beispiel. :-)

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Harry Dietz
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Re: Nachtschränkchen mit hingenommener Ungenauigke

Beitrag von Harry Dietz »

[In Antwort auf #150186]
Hi!

Einfach toll. Weißt du warum deine Säge verlaufen ist, die von Friedrich aber nicht?

Grüße
Harry

Friedrich Kollenrott
Beiträge: 3188
Registriert: Fr 19. Mär 2021, 17:09

Re: Nachtschränkchen mit hingenommener Ungenauigke

Beitrag von Friedrich Kollenrott »

[In Antwort auf #150185]
Hallo Markus,
ich finde es toll, dass Du das durchgehalten und tatsächlich (so wie von Anfang an geplant, nicht etwa weil Du nicht genauer kannst) mit "handwerkzeuggerechter Genauigkeit" gearbeitet hast. So ähnlich müssen es wohl die Tischler vor 150 Jahren auch gemacht haben. Glückwunsch!
Grüsse, Friedrich

Philipp
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Re: Nachtschränkchen mit hingenommener Ungenauigke

Beitrag von Philipp »


Hallo Markus,

Glückwunsch zu Deinem Möbelchen und zu Deiner Ausdauer. Ich habe auch solche Kreuzwege hinter mir und merke, dass ihre Anziehungskraft zur Wiederholungstat nachlässt...

Meine rein persönliche Ansicht ist aber, dass handgefertigte Möbel schon noch etwas anderes als nur rechte Winkel aufweisen sollten, um sich von Möbelhausware abzusetzen. Auch hätte meiner Ansicht nach ein ausgefalleneres und attraktiveres Holz als Buche dem Möbel gut zu Gesicht und in einem adäquaten Verhältnis zum Aufwand gestanden.

Viel Freude an Deinem Nachttisch und viel Erfolg und Geduld bei Deinen weiteren Projekten!

Gruß, Philipp

Oskar Sedell
Beiträge: 47
Registriert: Do 11. Jan 2018, 08:20

Re: Nachtschränkchen mit hingenommener Ungenauigke

Beitrag von Oskar Sedell »

[In Antwort auf #150186]
Sehr schön, gut gemacht und danke für die Bilder und Beschreibung. Genau das ist die Arbeit mit Handwerkzeuge - mit den Ungenauigkeiten gut umzugehen.

MarkusB
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Registriert: Mo 15. Mär 2021, 07:21

Re: Nachtschränkchen mit hingenommener Ungenauigke

Beitrag von MarkusB »

[In Antwort auf #150187]
Hallo Christoph,

schön, das man die Ungenauigkeiten nicht sieht. Das wäre auch nicht schön gewesen.
Ich meinte ungenau auch mehr im Vergleich zur maschinellen Herstellung.

Die Säge ist eine Sandvik, die ich Pedder mal abgekauft habe.
Zustand war nicht so toll, dafür aber der Preis.
Die Griffe habe ich ausgetauscht.
Original waren da ganz schlimme Plastikdinger dran.

Viele Grüße

Markus

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