Unbekanntes Zimmermannswerkzeug *MIT BILD*

Hier werden Holzprojekte diskutiert, die vorwiegend mit Handwerkzeugen und nicht mit Maschinen realisiert werden. Hier ist auch ein Platz für traditionelle Oberflächenbehandlung von Holz. Ebenso geht es hier um klassische Handwerkzeuge zur Holzbearbeiteng, deren Bedeutung, Pflege und Gebrauch.
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Dieter Struck
Beiträge: 2
Registriert: Mo 7. Aug 2017, 17:26

Unbekanntes Zimmermannswerkzeug *MIT BILD*

Beitrag von Dieter Struck »


Zur Zeit arbeite ich an einem Buch über Albrecht Dürers Meisterstich Melencolia (Die Melancholie) von 1514. Dazu ist es erforderlich, alle dort gezeigten Gegenstände zu entschlüsseln, was mir soweit auch gelungen ist – bis auf ein Gerät. Es handelt sich um ein Werkzeug für Zimmerleute oder Tischler und ähnelt einem Anschlagwinkel, von dem der Schenkel mit dem Anschlag abgeschnitten ist. Manche Dürer-Forscher halten es für ein Stich- oder Streichmaß (Parallelreißer haben wir im Maschinenbau gesagt) - für mich eher unwahrscheinlich. Meine bisherigen Recherchen waren erfolglos, aber immerhin habe im Internet ein sog. "Tischblatt" von einem nicht mehr existierenden Hans Kipferle aus der Meraner Region gefunden, das das gleiche Gerät in einer etwas anderen Kombination zeigt. Tischblatt ist der Name des Fotos. Oben links ist auch ein Streichmaß abgebildet. Die Jahreszahl ist über Kopf zu lesen, also 1561 und nicht 1951!
Den betreffenden Ausschnitt aus der Melencolia habe ich mit dem "Tischblatt" zusammenkopiert.
Wer sich den vollständigen Kupferstich ansehen möchte, gibt bei Google " dürer melancholie" ein und schaut sich die angebotenen Bilder an.

Ich kann mir vorstellen, dass es sich um eine Schablone handelt, die der Zimmermann mit dem Anschlag nach oben an ein Balkenende anlegt und das Treppenprofil anzeichnet, um alle Balkenköpfe auf einfache Weise mittels Säge und Raspel zu profilieren.
Dank an alle, die mir bei des Rätsels Lösung helfen!
Dieter Struck


Paul Reichert
Beiträge: 49
Registriert: Do 19. Jan 2017, 22:48

Re: Unbekanntes Zimmermannswerkzeug

Beitrag von Paul Reichert »


Hallo Dieter,

also ich denke es ist ganz einfach ein Winkel. Das passt auch zu den anderen abgebildeten Werkzeugen (Hobel, Säge, Lineal ). Ich habe das auch schon mehrfach in Arbeiten über den Stich gelesen. Zumindest eine gleiche Meinung wie die meine kann ich anbieten: http://www.popularwoodworking.com/articleindex/melencolia-try-square und https://blog.lostartpress.com/2014/05/27/the-melencolia-i-square-part-1/ . Es gibt auf dem Lostartpress Blog 6 Einträge zu dem Thema. Auch die oben rechts abgebildete Tafel wird dort erwähnt.

Viele Grüße
Paul



Kurt Heid
Beiträge: 293
Registriert: Mi 25. Aug 2021, 13:35

Re: Unbekanntes Zimmermannswerkzeug

Beitrag von Kurt Heid »

[In Antwort auf #147858]
Hallo das Teil unter der Gestell säge ist ein Paralellanreiser. Das andere Werkzeug muss ich erst nachsehen, habe ich irgendwo.
Gruß, Kurt

Dieter Struck
Beiträge: 2
Registriert: Mo 7. Aug 2017, 17:26

Re: Unbekanntes Tischler- oder Zimmermannswerkzeug

Beitrag von Dieter Struck »


Lieber Paul,
Danke für deinen wertvollen Beitrag! Nach Durchsicht deiner Hinweise glaube ich jetzt mehr an Tischler-Werkzeug. Dann gäbe es sogar einen vernünftigen Ansatz, den "Alchemisten-Schmelztiegel zur Goldherstellung" in Dürers Melencolia neu zu beurteilen. Ich hatte ihn längst zum Einschmelzen von Blei zum Vergießen von Eisenankern in Stein degradiert. So könnte es sich aber auch um einen Leimtopf handeln, wie er ähnlich auf dem Holzschnitt auf der LostArtPress-Seite abgebildet ist.
Was mir noch Bauchweh bereitet: Der stufenförmig abgesetzte freie Schenkel des Winkels. Warum macht sich der Hersteller die Mühe, wenn es auch gerade geht?
Erstmal tschüß
Dieter

Horst Entenmann
Beiträge: 1154
Registriert: So 30. Mär 2014, 20:58

Re: Unbekanntes Zimmermannswerkzeug

Beitrag von Horst Entenmann »

[In Antwort auf #147858]
Hallo Dieter,

Das sieht mir auch nach einem Anschlagwinkel aus. Weniger als Kontrollwinkel, sondern hauptsächlich zum Anreißen.
Daß die lange Zunge nur auf einer Seite gerade ist, kann viele Gründe haben. Man könnte die Stufen als Streichmaß verwenden, dann würde ich aber mehr Stufen erwarten, nicht nur zwei oder eine Lochreihe
Es könnte eine Art Schablone sein, aber auch da wüsste ich nicht wofür.
Wenn ich Gewicht einsparen wollte, dann würde ich keine Stufen reinmachen, sondern die eine Seite abschrägen oder sogar hohl machen.

Mir erscheint am wahrscheinlichsten, daß das eine Art Handgriff sein soll. Die Zunge ist unten sicherlich zu breit um die gut in der Hand halten zu können.
In der Mitte ist sie schon mal schmäler und dort sicherlich besser zu greifen um den Anschlagwinkel herum zu tragen. Eine Abschrägung wäre schlechter zu halten als zwei parallele Kanten.
Das müsste man mal in der Praxis testen wie sich das Werkzeug anfasst und tragen lässt.

Gruß Horst



Kurt Heid
Beiträge: 293
Registriert: Mi 25. Aug 2021, 13:35

Re: Unbekanntes Zimmermannswerkzeug

Beitrag von Kurt Heid »

[In Antwort auf #147864]
Hallo zum Zweiten
Es ist ein Winkel. Habe solche mit diesen Anschnitten die keine Bedeutung haben, bin ich der Meinung. Einer ist auch noch mit einer Wasserwaage im Anschlagschenkel. Auch Metallwinkel haben manche an den Enden diese "Kurven"
Gruß, Kurt

Wolfgang Jordan
Beiträge: 1348
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Re: Unbekanntes Zimmermannswerkzeug

Beitrag von Wolfgang Jordan »


Hallo Dieter,

das betreffende Werkzeug ist ein Winkelmaß, zum Beispiel zu finden in einem Katalog der Firma Joh. Weiss & Sohn von 1861:
http://kataloge.holzwerken.de/index.phtml?name=weiss&lfdnr=1 (auf Tafel 27, Mitte links; auf "Tafel 27" klicken für die volle Auflösung)
In der "Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung" ist ein ausführlicher Artikel erschienen von dem Dresdner Restaurator Volker Dietzel über "Winkelmaß und Winkelhaken":
https://www.baufachinformation.de/z/2014089003995
In diesem Artikel findet sich auch ein Zitat aus dem Buch von Stöckl "Die Tischlerkunst in ihrem ganzen Umfange", wonach die Form der Rückseite rein dekorativ ist.

Gruß, Wolfgang

Carsten Griewatsch
Beiträge: 54
Registriert: So 8. Mär 2015, 21:00

Re: Unbekanntes Zimmermannswerkzeug

Beitrag von Carsten Griewatsch »


Moin,

danke Wolfgang für die Recherche.
Ich zitiere mal, weil der Text auch einiges über die damalige Verwendung des Werkzeugs aussagt:
"Die Tischlerkunst in ihrem ganzen Umfange" von Stöckl, Heinrich Friedrich August. 1823 (S. 19-20)

Kap. 11.
Von dem Winkelmaß, Winkelhaken und Streichmaß.
9. Abtheilung
Das Winkelmaß ist ein Werkzeug, welches ganz richtig und fehlerfrei gearbeitet sein muß; denn von dessen Richtigkeit hängt auch die richtige
Eintheilung der Arbeit ab. Wie kann eine Arbeit nach allen ihren Verhältnissen richtig sein und den Forderungen, die man an sie macht, entsprechen,
wenn das Winkelmaß nicht winkelrecht ist?
Zu den Bestandtheilen eines Winkelmaßes gehört ein Kopf, von 8 Zoll Länge, 1 1/2 Zoll Dicke und 4 1/2 Zoll Breite. Dabei ist zu bemerken, daß
die eine Kante, in welche das Blatt oder die Zunge eingeschoben wird, sehr egal, gerade und winkelrecht sein muß. Dem Kopfe kann man übrigens
eine Form geben, wie man will.
Die Zunge, oder das Blatt, welches den andern Theil des Winkelmaßes ausmacht, kann 4 Fuß Länge, 3 Zoll Breite und einen Viertel Zoll Dicke haben.
Das Blatt muß mit Genauigkeit in den Kopf eingesetzt und fest eingeleimt werden, um die geringste Bewegung und Verrückung aus seiner Lage zu verhindern.
Das Blatt wird übrigens nicht mit dem Kopfe in gleicher Richtung, in gerader Linie eingesetzt, sondern tritt demselben einen halben Zoll vor, und aus dem Grunde,
um das Blatt, wenn es abgeführt, oder nicht mehr ganz richtig ist, abstoßen und wiederum in Richtigkeit bringen zu können.
Das Blatt läßt man 15 Zoll, von dem Kopfe an gerechnet, in seiner geraden Breite und von da aus bis zum Ende giebt man demselben verschiedene Schweifungen,
damit es dadurch ein besseres Ansehen gewinne.
Diese eben beschriebene Gattung Winkelmaße muß man von verschiedener Größe besitzen, aber alle werden nach unserer Vorschrift gefertigt.
Noch ist zu bemerken, daß jedes Winkelmaß, nach allen seinen Bestandtheilen gutes, festes Holz erfordert, welches ganz rein sein muß und nicht flatterig sein darf,
damit sich das Winkelmaß nicht werfe, oder krumm laufe und unrichtig werde. Besonders ist bei dem Blatte auf diese Lehren Rücksicht zu nehmen.
Um das Winkelmaß richtig zu stellen, bestößt man an einer Tafel die Kante sehr gerade mit der Fugbank, setzt den Kopf an der Kante an, zieht eine Scharfe
Linie an dem ganzen Blatte auf der Taffel hin; kehrt hernach das Winkelmaß um, und hält das Blatt an die erst gezogene Linie. Steht nun auch auf dieser Seite das
Blatt mit der ersten Linie in gleicher Richtung, so ist es richtig, weicht es aber nur im geringsten davon ab, so ist man genöthigt, so viel von dem Blatte wegzustoßen,
als es austrägt, bis die Linie auf beiden Seiten genau egalisirt - was der Maßstab der Richtigkeit des Winkelmaßes ist.

Und dann geht es mit dem Winkelhaken weiter.

Gruß

Carsten


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