Hallo,
liest man hier im Forum so bekommt man als Außenstehender recht schnell einen sehr negativen Eindruck.
Hier herrscht eine engstirnige Denkweise was Werkzeug und Handwerk anbelangt. [...]
Die Mehrheit hier betreibt das Arbeiten mit Holz in ihrer Freizeit und macht beruflich meistens etwas ganz anderes. Außerdem haben wir noch eine ganze Menge Ruheständler. Produktiv in einer Tischlerei oder Zimmerei haben nur wenige jemals gearbeitet und eine entsprechende Ausbildung im holzverarbeitenden Handwerk haben sie auch nicht. Ich bin zwar kein Ruheständler, aber gehöre auch in diese Gruppe. Dieser Hintergrund (Leute mit ausreichend Geld, oft recht viel Zeit und auch oft guter Ausbildung (Akademiker, Ingenieure etc.) für die Holzarbeit eben eine Freizeitbeschäftigung ist) erklärt vieles, Menschen stecken oft recht viel Geld und Zeit in ihre Hobbies und treiben die Perfektion dabei sehr, sehr weit. Die Zeit, die viele hier in oft sehr liebevolle und auch exzellent gemachte Projekte stecken, hat im Handwerk (heutzutage) fast niemand, weil bei Stundensätzen > 40 EUR zzgl. MwSt. kaum ein Kunde diese Zeit bezahlen kann. Wenn Profis mal so bauen wie manche Hobbyisten, dann bauen sie (fast immer) für sich selbst, für Kunden ist das nicht bezahlbar. Sicher, es gibt Ausnahmen, manchmal ist ein Kunde eben Liebhaber, für den Geld keine Rolle spielt oder es geht um denkmalgeschütze Objekte und Restaurierung. Das sind aber alles Nischen, selbst Möbelbau ist für die durchschnittliche Tischlerei heute eher selten, viele Aufträge kommen aus dem Bereich Bereich Bautischlerei (Türen, Fenster, Treppen ...). Es sind einfach zwei Welten, welcher Freizeittischler hätte sich wohl mal an einer 1/4 gewendelten Treppe versucht? Von solchen Aufträgen lebt eben heute fast jede Tischlerei und die Einzelteile dafür kommen inzwischen oft aus der CNC Maschine.
Unter meinen Freunden und Bekannten sind mehrere Tischler, meist Altgesellen und auch ein Meister. Die haben alle ihr Leben lang in ihrem Beruf gearbeitet und können alle was, gerade den Meister würde ich schon als einen wirklich Guten bezeichnen. Ich gucke mir interessehalber bspw. auch gerne mal Gesellenstücke an, die von der Kreishandwerkerschaft hier jedes Jahr nach der Freisprechung ausgestellt werden, das lohnt und es zeigt, dass auch die jungen Leute durchaus ihr Handwerk gelernt haben und handwerklich gute und schöne Objekte fertigen können. Niemand von diesen Leuten hat aber eine Hobelsammlung wie nicht wenige hier im Forum. Der o.g. Meister hat sich vor etwa 20 Jahren mal einen hölzernen Reformputzhobel mit Eisenfeineinstellung (Ulmia oder ECE) gegönnt, das war quasi ein Geschenk an sich selbst. Das war es, das ist der einzige "Edelhobel", den ich jemals bei meinen professionell im Holzhandwerk arbeitenden Bekannten gesehen habe. Hersteller wie LN, Veritas, Clifton etc. kennen diese Leute oft gar nicht und trotzdem sägt der o.g. Meister jederzeit innerhalb von kurzer Zeit jeden Zapfen mit einer ganz normalen, ordentlichen Gestellsäge und der passt auch praktisch immer.
Auch wenn das Material gleich ist, sind die Rahmenbedingungen bei Tischlerei als Beruf und Tischlerei als Hobby sehr viel anders. Man muss diese unterschiedliche Rahmenbedingungen einfach sehen, die Welt ist groß und darin ist selbstverständlich ebenso Platz für riesige Hobelsammlungen wie für CNC Maschinen. Beides hat seine Berechtigung und beides berechtigt nicht zu Überheblichkeiten oder Abfälligkeiten beim Blick in die jeweils andere Welt. Das gilt natürlich auch für die polnischen Handwerker und Diesel als Schleiffüssigkeit (doch, Diesel stinkt heftig und ist auch nicht gerade gesund, je nach Stein könnte man ja auch was anderes nehmen).
Grüße
Wolfgang