Do-it-youself 1617

Hier werden Holzprojekte diskutiert, die vorwiegend mit Handwerkzeugen und nicht mit Maschinen realisiert werden. Hier ist auch ein Platz für traditionelle Oberflächenbehandlung von Holz. Ebenso geht es hier um klassische Handwerkzeuge zur Holzbearbeiteng, deren Bedeutung, Pflege und Gebrauch.
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Wolfgang Jordan
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Do-it-youself 1617

Beitrag von Wolfgang Jordan »


Hallo,

ich lese gerade von Fritz Hellwag: Die Geschichte des deutschen Tischlerhandwerks (1924). Mit seiner Fülle an Informationen ist das Buch eine Fundgrube für jeden, der sich für dieses Handwerk interessiert, auch wenn die meisten von uns nur Dilettanten (sprich: Liebhaber) sind. Gestern habe ich aber eine Stelle gefunden, wo sich Hellwag direkt auf uns, bzw. unsere Vorgänger vor mehreren hundert Jahren bezieht. Seine Kritik kam mir merkwürdig bekannt vor.

Bekanntlich haben sich in früheren Zeiten sehr zahlreiche Privatleute in ihren Mußestunden mit handwerklichen Übungen, insbesondere aber mit Tischlern und Drechseln beschäftigt; wir sahen in einer alten Tischlerordnung von Straßburg, daß die vorsorgliche Stadtverwaltung auch die Lehrverhältnisse dieser Dilettanten, wenn auch in recht milder Form, geregelt hatte (siehe Zitat unten). Diese Dilettanten gingen, wie alle zu ihrer Kategorie Gehörigen, mit großer Umständlichkeit an ihre Übungen heran, die sie fast als wissenschaftliche Experimente betrachteten. Zuweilen haben sie auf ein ganzes Handwerk einen unheilvollen Einfluß ausgeübt; zum Beispiel ist das Drechslerhandwerk mit durch das üble Beispiel solcher theoretischer Experimentatoren verdorben worden und zur Kunstfertigkeit ausgeartet. Die Tischlerei war glücklicherweise denn doch zu fest auf den Boden realer Aufgaben gestellt, als daß ihr von solchen Außenseitern viel Schaden hätte zugefügt werden können. Es verschlug ihr nichts, wenn zum Beispiel auch die Einrichtung der Hobelbank, die auf uralter Tradition beruhte, "wissenschaftlich" verbessert werden sollte. (S. 445)

Über die Dauer der Lehrzeit, aus der Zunftordnung der Schreiner in Straßburg 1617: Daneben gab es aber auch noch die Söhne von reichen Leuten, die aus Liebhaberei etwas in der Tischlerei unterrichtet werden wollten; solche Liebhaberlehrlinge, die nur aus Neugier ein bißchen lernen wollten, sollten eine Zeit vereinbaren, ohne an ihre Einhaltung gebunden zu sein. (S. 153)

Gruß, Wolfgang

Edi Kottmair
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Re: Do-it-youself 1617

Beitrag von Edi Kottmair »


Hallo Holzfreunde,

zum Thema Dilettantismus möchte ich Folgendes ergänzen, was mir eigentlich schon lange auf der Zunge liegt:
In einem kleinen Einrichtungshaus unweit von meiner Wohnung ist seit 2 Monaten ein Tisch von einem Schreinermeister ausgestellt: 240 x 100 cm, Platte massiv Ahorn (sehr schön), Gestell massiv Buche, Preis 2.680,- Euro. Nun habe ich die Angewohnheit, Tische auch immer von unten anzuschauen, weil mich interessiert, ob gute Gratleisten drin sind und ob das Gestell schön verzapft ist oder ob es nur Blechbeschläge gibt. Bei diesem Tisch gibt es unten 3 aufgeschraubte Buchenleisten, jeweils 5 Schrauben in einfachen Löchern, noch nicht einmal Langlöcher. Keine Gratleisten. Damit hat der Meister die Massivholz-Grundregel Nr. 1, Längsholz nicht mit Querholz zu verbinden, verletzt und würde bei jeder Gesellenprüfung durchfallen. Hätte er saubere Gratleisten eingebaut, was mit einer Oberfräse kein Aufwand ist, und hätte er dann 200 Euro mehr verlangt, würde ich mich gar nicht aufregen.
Ferner sind in die Zargen jeweils 2 senkrechte Ahorn-Zierstreifen (10 mm dick) eingebaut. Dazu hat er die Zargen einfach durchgesägt, dann Ahorn-Plättchen dazwischen gelegt, und die Zargen (die ziemlich dick sind) mit Küchenarbeitsplatten-Verbindern (siehe z. B. http://www.schneegans-spalek.com/catalog/7/7-3--1.htm) wieder zusammengeschraubt. In den Zargen sind jetzt also 8 völlig überflüssige Metallteile drin, denn man hätte diese Zierstreifen auch als Intarsien einlegen können, ohne die Zargen zu zersägen, was mit einer Oberfräse ebenfalls leicht geht.
Die Stühle, die schön aussehen, wiederum Gestell Buche und Sitz Ahorn, zu je 480,- Euro, weisen den gleichen Fehler auf. Die Sitze (in diesem Fall Querholz) wurden einfach mit den Zargen (Längsholz) verschraubt. 5 von den 6 Stühlen wackeln und stehen nur auf 3 Beinen. Die Stühle wurden außerdem schlecht gespritzt. An manchen Stellen sind sie glatt, an anderen ist die Oberfläche sehr rau von gehärteten Lacktröpfchen. So etwas wird bei mir wieder abgeschliffen und frisch behandelt.
Da bleibe ich doch lieber Dilettant.
Und Meisterberufe müssen geschützt werden.

Viele Grüße von
Edi



Wolfgang Jordan
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Re: Do-it-youself 1617

Beitrag von Wolfgang Jordan »


Hallo Edi,

meine Frau geht mit mir auch nur noch ungern in Restaurants, weil mich da vor allem die Konstruktion der Tische interessiert;-) Solche krassen Beispiele habe ich allerdings noch nicht gefunden. Aber man wundert sich schon manchmal, was heute so als solide Handwerksarbeit angepriesen wird.

Wenn jemand meint, heute wäre alles überreglementiert, so habe ich in diesem Fall den umgekehrten Eindruck. Die Zünfte haben nicht nur bis ins Detail vorgeschrieben, welche Arbeiten mit welchem Werkzeug die Handwerker ausführen durften. Es gab auch eine rigide Qualitätskontrolle, die bis zum zeitweiligen Berufsverbot führen konnte. Die Kontrolleure haben sogar Möbel in Privathäusern inspiziert. Wenn da Verbindungen aufgingen oder Risse auftraten, weil nicht fachmännisch gearbeitet wurde, mußte der betreffende Schreiner nachbessern und durfte in dieser Zeit keine anderen Aufträge annehmen.

An diesem Wochenende findet übrigens in Bayern der "Tag des Schreiners" statt. Da kann man mal anschauen, wie's heute bei den Profis zugeht.

Gruß, Wolfgang

Edi Kottmair
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Re: Do-it-youself 1617

Beitrag von Edi Kottmair »


Hallo Wolfgang,

bist Du also auch so einer. Meine Frau lacht nur, wenn wir ins Wirtshaus gehen, weil ich die Tische immer von unten anschaue oder Tischdecken wegnehme, um zu sehen, welche Platte drunter ist (meistens Schrott).

Wir haben eine Überreglementierung im falschen Bereich, z. B. bei Qualitätsmanagementsystemen. Dabei wird nur der Papierkram kontrolliert, aber nicht wirklich die Qualität der Produkte.

Gewerbeaufsicht und BG schauen sich bestimmt die Schreinereien an und kontrollieren, ob bei der Absaugung 99,9 % oder 99,99 % Staub zurückgehalten wird. Aber das hat nichts mit der Güte eines Möbelstücks zu tun.

Gruß,
Edi


Philipp
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Registriert: Mi 21. Nov 2012, 14:14

Re: Qualitätskontrolle

Beitrag von Philipp »


"Wir haben eine Überreglementierung im falschen Bereich, z. B. bei Qualitätsmanagementsystemen. Dabei wird nur der Papierkram kontrolliert, aber nicht wirklich die Qualität der Produkte."

Oh, ja, das ist ein unendliches Thema...

Bin in diesem Thema sicherlich kein Profi, erlaube mir aber dennoch manchmal eine eigene Meinung. Und die geht dahin, daß ich der Ansicht bin, daß heutzutage die Methodiker weit über den Sachverständigen/Fachleuten stehen. Heute wird in ISO-Normen jeder Produktionsschritt festgelegt und die Verwendung der richtigen Formulare geregelt, die Qualität des Produktes an sich scheint aber kaum mehr eine Rolle zu spielen. Manchmal habe ich den Eindruck, daß man nach ISO-Normen einen Rettungsring aus Beton herstellen kann, sofern man den Produktionsschritte entsprechend genau festlegt, nachvollziehbar macht und dokumentiert. Daß das so entstehende Produkt zwar unbrauchbar ist, scheint nicht zu interessieren. Da hat die gute alte DIN doch ihre eindeutigen Vorteile, denn da müßte sicherlich ein Rettungsring immerhin schwimmen...
Wenn ich bei uns im Geschäft sehe, welcher Sch... von Firmen geliefert wird, die stolz Ihre Zertifizierung sind, dann wird mir angst und bange und denke mir, daß es sicherlich sinnvoller wäre, die Zeit, die für die Beschäftigung der Methodiker verwendet wird, besser der Optimierung des Produktes zukommen sollte.

Vielleicht irre ich mich aber ja auch.

Dietrich
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Registriert: Mo 27. Okt 2014, 22:01

Re: Qualitätskontrolle

Beitrag von Dietrich »


Hallo ,

meiner Ansicht gibt es bei den Berufsschreinern wie bei allen anderen Berufen auch 5 - 10 % Topleute / 50 - 70 % Mittelmaß / und 20 - 45 % Überforderte .
Der heutige Zeitdruck spielt natürlich auch eine Rolle , viel Kunden können heute eine solide Handwerksarbeit gar nicht erkennen , also erlauben sich die Profis Pfusch .

Gruß Dietrich

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